Fußball (Frauen): Der springende Punkt soll der Ball sein

Es war keine leichte Geburt, bis die VfL Sindelfingen Ladies ans Licht der Fußballwelt kamen. Aber es sieht so aus, als würden die Nachwehen nachlassen – wobei längst nicht alles in trockenen Tüchern ist.
Um die Form zu wahren, treffen sich in der Stadiongaststätte die Fußballerinnen noch einmal als VfL-Abteilung zur Hauptversammlung. Deshalb leitet auch nicht der neue Ladies-Abteilungsleiter Josef Klaffschenkel die Runde, sondern der zuvor kommissarische Frauenfußball-Chef Sascha Bührer. Im Kern geht es um Altlasten, die jetzt doch nicht auf den Hauptverein des VfL Sindelfingen geschoben werden sollen. Genau genommen um Fahrtkosten von rund 19 000 Euro (die SZ/BZ berichtete). Versprochen wurde das, als die Fußballerinnen noch im VfL eingegliedert waren. Dann wurde die Kasse immer klammer – und Sascha Bührer fror die Zahlungen ein.
Schriftlich fordern Spielerinnen und Trainer ihren Nachschlag ein. Die Schreiben leitete Sascha Bührer – jetzt Kassier im neuen Verein „VfL Sindelfingen Ladies“ – an den VfL Sindelfingen weiter. Dessen Vorstand ist sich einig und hat sich von den anderen Abteilungen Rückendeckung geholt: „Wir zahlen nicht“, sagte Vorstandmitglied und Rechtsanwalt Dr. Oliver Wengert letzte Woche und bleibt auch am späten Mittwochabend dabei. Das, was der Hauptverein unterschrieben hat, zum Beispiel die offiziellen Verträge mit Ex-Trainer Saban Uzun und Torhüterin Vanessa Fischer, wird erfüllt. Was darüber hinaus geht, eben nicht. Auch, weil die Abteilungskasse längst im roten Bereich war und die Fußballerinnen um ihre Existenzgrundlage bangten.
Trotzdem gibt es die andere Sichtweise. Die von Martin Schmid zum Beispiel. Der Mann der ehemaligen Abteilungsleiterin Martina Schmid ist vor allem deshalb den VfL-Frauen seit zehn Jahren treu, weil seine Tochter die blau-weißen Farben trug. Er sagt: „Man kann von einer 16- oder 17-Jährigen doch nicht erwarten, dass sie hinterfragt, ob das Versprechen einer Abteilungsleitung gültig ist.“ Und weil der Hauptverein schon seit Jahren wisse, dass auch auf dem kleinen Dienstweg ein paar Cent pro Fahrkilometer fließen, könne man jetzt nicht in Deckung gehen.
Deshalb der Antrag von Martin Schmid: Der Hauptverein soll mindestens dann grade stehen, wenn entsprechende Fahrformulare korrekt ausgefüllt worden sind. Der VfL, der mit Präsident Dr. Heinrich Reidelbach, Geschäftsführer Rolf Medinger, Sabine Mundle, Dr. Oliver Wengert, Andreas Bonhage und Markus Graßmann in breiter Riege angetreten war, erwartete jetzt mächtig Gegenwind – doch dieser bläst auf einmal aus der anderen Richtung.
Der Antrag kassiert eine derbe Abfuhr. 22 Stimmberechtigte sind zu diesem Zeitpunkt im Raum, die meisten davon sind Spielerinnen. Neben Martin Schmid hebt lediglich Heike Hofmann die Hand. Sie hatte jahrelang die Geschicke der Fußballerinnen mitbestimmt. Zumindest bis die Abteilungsleitung Harald von Hinüber übernahm, den es im November 2016 beruflich nach Wien zog und für den kommissarisch Sascha Bührer einsprang. Damit votieren die Fußballerinnen für den Standpunkt des VfL Sindelfingen, dass sich der Gläubiger im Einzelfall seinen Schuldner suchen muss.
Im Februar war Heike Hofmann noch Gründungsmitglied der VfL-Ladies. Mittlerweile ist sie aus allen Ämtern ausgeschieden. Dass sie beim Tagesordnungspunkt „Entlastungen“ auch auf der Vorstandsliste für das Geschäftsjahr steht, will sie erst nicht hinnehmen. Dann scheitert auch noch der Antrag von Martin Schmid, die Vorstandsmitglieder einzeln zu entlasten. Nur sechs von jetzt nur noch 19 Stimmberechtigten wollen das so haben. Folglich drücken die Fußballerinnen ihre Zustimmung für die Arbeit von Sascha Bührer, Harald von Hinüber, Marc Pflieger, Hansdieter Kirchhoff und Heike Hofmann für das Geschäftsjahr 2016 en bloc aus.
Wer wem was einst versprochen hat, bleibt ziemlich unklar. Die VfL-Abteilung existiert jetzt noch auf dem Papier, ist faktisch aber leergeräumt. Die Ladies peilen mit der ersten Mannschaft die eingleisige Zweite Liga an und spielen noch mit der Zweiten in der Oberliga. Die U17 kämpft um den Klassenerhalt in der Süd-Bundesliga, zwei U15-Mannschaften gehen ins Rennen. Der Blick geht nach vorne.
Für diesen Perspektivenwechsel steht Ulrike Förster: „Ich hätte mir als Mutter gewünscht, dass hier früher für Transparenz gesorgt wird und nicht erst am 29. Mai, der für mich der schwarze Montag war.“ Erst ab da sei es möglich gewesen, mitzuhelfen und Finanzen aufzutreiben. „Gespräche, was ansteht und warum es die Ladies geben muss, haben nie stattgefunden. Mein Appell ist, künftig früh die Mitglieder einzubauen“, sagte Ulrike Förster.
An diesen Punkt setzt auch eine weitere herbe Kritik von Martin Schmid an. Dass die Frauenfußball-Abteilung in den neuen Verein VfL Sindelfingen Ladies ohne Diskussion der Mitglieder bei einer Versammlung über die Bühne ging, sei ein Unding. Der neue Abteilungsleiter Josef Klaffschenkel und der VfL-Vorstand erklären das damit, dass es nicht anders gegangen sei – es ging schlichtweg darum, ob es in Sindelfingen überhaupt noch Frauenfußball gibt.
Für die eingeforderte Transparenz will Josef Klaffschenkel sorgen, der den Schwung mitnehmen möchte und „ein richtig gutes Miteinander“ verspürt. Dies betreffe den jungen Fußballverein ebenso wie das Verhältnis zum VfL Sindelfingen: „Auch wenn es Spitz auf Knopf zuging, gab es nie ein böses Wort. Wir wollen auch weiterhin partnerschaftlich miteinander arbeiten.
Die Spielerinnen in der Stadiongaststätte hören das gern. Entsprechend beklatschen sie die am Ende versöhnlichen Worte von Martin Schmid. Dieser weiß jetzt, dass Roland Medinger plant, die leere VfL-Frauenfußballabteilung zum Jahresende aufzulösen. Und er weiß, dass er weiterhin Mitglied beim VfL Sindelfingen bleiben kann. Vor allem weiß er jetzt auch: „Dass ich auch künftig bei den Heimspielen am Grill stehen werden. Die Wurst gehört zum Fußball.“ Und der springende Punkt ist der Ball – der in Sindelfingen im Spiel bleibt.
Jürgen Wegner schreibt seit 1993 für die SZ/BZ und kickte früher selbst für den VfL Sindelfingen
Verzwickte Lage in der Stadiongaststätte: Dr. Oliver Wengert vom VfL-Vorstand (links) und Sascha Bührer, der in der Frauenfußall-Abteilung kommissarischer Abteilungsleiter war und bei den VfL Sindelfingen Ladies Kassier ist. Bild: Wegner