Handball: So wie einst im Sindelfinger Glaspalast

Eintritt ins Klinsi-Zimmer: 50 Pfennig. Der ganze Tag kostet 2 D-Mark. Ein herrlicher Spaß ist das da oben in Degerloch, wo die deutsche Frauenauswahl Abstand sucht. Abstand vom Ramba-Zamba. Und Abstand vom Handball-Hexenkessel Glaspalast, der immer wieder überkocht, auch wenn die Laufbahn das Spielfeld von der Tribüne abschneidet.
Wenn Ekke Hoffmann an den blühenden Flachs von einst denkt, bekommt er leuchtende Augen. Zwei Jahrzehnte ist das her, aber Sindelfingen hat Spuren hinterlassen. Zum einen der VfL, den er in den 80ern an der Seitenlinie durch die Bundesliga coachte. Aber auch und dieser Tage besonders die Handball-Weltmeisterschaft von 1997 mit ihren Vorrundenspielen an der Konrad-Adenauer-Straße. Denn die Zeit kommt jetzt zurück. Jetzt, da wieder eine WM im eigenen Land ansteht, die heute Abend um 19 Uhr mit dem Spiel Deutschland gegen Kamerun in Leipzig beginnt und am morgigen Samstag in die Egetrans-Arena nach Bietigheim-Bissingen kommt.
Ansonsten ist alles ein bisschen ruhiger geworden. Ekke Hoffmann hat mehr Gelegenheit für seine Hobbys. Skifahren und Tennis zum Beispiel, aber auch die Vorlesungen an der Uni in Tübingen, wo sich der gelernte Politik- und Geschichtswissenschaftler gerne auf die Bank setzt. Da hängt er schon einmal einem ehemaligen Verfassungsrichter wie Paul Kirchhof an den Lippen, wenn dieser über Euro-Krisen und Co. spricht. Ab und zu gibt der 73-Jährige aber noch Tipps und Kurse in der Trainerausbildung. Alles andere wäre zu schade um einen, der mit allen Wassern gewaschen ist.
Beispiel gefällig? Es läuft nicht besonders gut zum WM-Auftakt in Sindelfingen. Nicht, dass Japan zur ernsten Bedrohung würde, doch der Motor stottert trotz des deutlichen 32:17-Sieges. Eine aber ist im Glaspalast richtig stark: Christine Lindemann, blutjung und hungrig, zeigt im Tor eine Weltklasseleistung. Und was macht Ekke Hoffmann? Er wechselt im nächsten Spiel gegen Angola auf seiner wichtigsten Position und bringt Michaela Schanze.
„Was habe ich Prügel kassiert“, erinnert sich Ekke Hoffmann – der das Spielchen sogar noch weiter treibt. Denn auch seine Nummer zwei hält überragend und ist trotzdem ihren Job schon wieder los. Drittes Spiel, dritte Torhüterin, gegen Polen ist Sandra Polchow an der Reihe, die keinen besonders guten Tag erwischt. Was kaum weiß: Ekke Hoffmann lässt früh rotieren, um das beste Duo für die heiße Phase des Turniers zu finden. „Mit Tine Lindemann und Michaela Schanze hatte ich dann zwei Mädels im Kasten, die ich je nach Spielstand blind wechseln konnte.“ Am Ende gewinnt Deutschland vier Jahre nach dem Sensationsgold von Oslo Bronze.
Die Sindelfinger Zuschauer sind Augenzeugen eines Prozesses, in dem eine Mannschaft zusammenwächst und zu großer Stärke findet. Sie sehen eine unbekümmert-jugendliche Grit Jurak, die mit 54 Toren sechstbeste Torschützin und zehn Jahre später ihre zweite WM-Medaille gewinnen wird. Und sie sehen Sindelfingerinnen, die sich vollends in die himmelweit offenen Herzen der schwäbischen Fans spielen.
Der VfL ist stark vertreten: Silvia Schmitt ist im Rückraum die Bank, Anika Schafferus wirbelt auf der Außenbahn, dass es nur so eine Freude ist. Ekke Hoffmann erinnert sich: „Bei Silvia Schmitt war das klar mit ihren am Ende 245 Länderspielen. Aber wie sich Anika zur absoluten Leistungsträgerin entwickelte, das hat auch mich überrascht und ganz besonders gefreut.“
Es war vor 20 Jahren eben ein echtes Team auf dem Platz – und diese Entwicklung ist dieses Mal auch möglich, da ist sich Ekke Hoffmann sicher. „Wir erreichen das Halbfinale“, sagt er. Die Auslosung meint es mit einer wohl machbaren Vorrundengruppe gut mit dem deutschen Team. Selbst im Viertelfinale warten nicht die ganz dicken Brocken. Da müsste etwas drin sein. „Vielleicht gibt es so sogar die Möglichkeit, den Leistungsträgerinnen in der Vorrunde Pausen zu geben, damit sie im späteren Turnierverlauf frisch sind“, meint Ekke Hoffmann.
Klar sei aber auch: Die Spielerinnen müssen sich an die ganz große Bühne erst gewöhnen. Die Schwedinnen, die mit 550 Fans nach Bietigheim kommen, oder die Norwegerinnen mit ihren über 400 Kartenbestellungen, sind die ganz großen und vollen Hallen genauso gewöhnt wie die Däninnen, aus deren Land sogar eine 35-köpfige TV-Mannschaft nach Bietigheim anreist, obwohl Dänemark hier gar nicht spielt. Der Frauenhandball hat in Skandinavien eben eine andere Lobby als in Deutschland.
Auch hier erzählt Ekke Hoffmann aus dem Sindelfinger Nähkästchen: „Ein proppenvoller Glaspalast, das war damals schon beeindruckend. Vielleicht lag es an der mächtigen Kulisse, dass wir in Sindelfingen immer ein wenig gebraucht haben, um auf Touren zu kommen“, sagt er. Wobei das Publikum an sich einfach nur grandios gewesen sei: „leidenschaftlich und fachkundig. Ich war immer gerne in Sindelfingen.“
Deshalb sind die alten Bande auch nie gerissen. Wenn Michaela Baumgartl, geborene Traub, und Andrea Petri, einst Böllinger, die Bundesligatruppe von damals zusammentrommeln „dann komme ich saumäßig gerne. Sindelfingen war klasse. Manfred Stock war ein toller Manager, alles war sehr familiär. Es war halt schön hier.“ Und deshalb hat Ekke Hoffmann der Niedergang nach der Ära Dago Leukefeld auch geschmerzt. „Da ist nur verbrannte Erde übrig geblieben.“
Das alles sind alte Geschichten. So wie die von jenem Klinsi-Zimmer. Im Degerlocher Waldhotel hatten sich damals auch die Bundesliga-Kicker des VfB Stuttgart auf wichtige Spiele eingestimmt. Eines der Doppelzimmer war direkt unterm Dach – das Lieblingszimmer von Mädchenschwarm Jürgen Klinsmann. Als die Handballfrauen davon Wind bekamen, war das auch locker 50 Pfennig Eintritt wert. So war das damals auf dem Weg zum WM-Edelmetall.
Jürgen Wegner feuerte schon in den 80ern die Sindelfinger Handballfrauen in der Bundesliga auf der Tribüne gerne an.
Gefragt bei den Autogrammjägern in Sindelfingen: Ekke Hoffmann kehrt bei der Weltmeisterschaft 1997 als Bundestrainer in die Stadt zurück, die er 14 Jahre zuvor bis ins DHB-Pokalfinale und damit auch aufs europäische Pokalparkett geführt hatte. Bild: Stampe/A
Quelle: SZ-BZ Online