Leichtathletik: Nerven wie Drahtseile sind Silber wert

Leichtathletik: Der Sindelfinger Tobias Dahm nutzt bei seinen ersten deutschen Meisterschaften nach dem Achillessehnenriss in Durchgang sechs die letzte Chance

Kugelstoßer Tobias Dahm meldet sich bei den deutschen Meisterschaften mit Silber eindrucksvoll zurück. Sabrina Lindenmayer ist auf Tuchfühlung mit der nationalen Spitze. Carolina Krafzik sprintet bis ins B-Finale. Für Janina Dums und Niklas Rippon war mehr drin: Die kleine Sindelfinger Leichtathletik-Mannschaft schreibt besondere Geschichten.

Es ist ein denkwürdiger Kugelstoßwettkampf in der Helmut-Körnig-Halle. Lange dümpelt der Wettbewerb vor sich hin. Tobias Dahm eröffnet seine ersten deutschen Meisterschaften nach seinem Achillessehnenriss mit 19,10 Metern und setzt sich auf Platz zwei hinter David Storl. Dann erwischt der Neu-Drehstoßer Patrick Müller im dritten Durchgang einen guten Versuch und schiebt sich mit 19,37 Metern auf den Silberrang. Dahm kann nicht kontern. Er kommt nicht so recht in den Wettkampf und verzieht die Miene. Erst gegen Ende des fünften Durchgangs legt die Konkurrenz plötzlich los.
Dennis Lewke packt die 19,36 Meter und verweist Tobias Dahm auf den undankbaren vierten Platz. Dann steigerte sich Cedric Trinemeier deutlich auf eine neue Bestleistung von 19,34 Metern. Nun ist Dahm Fünfter. Der Sindelfinger hat im sechsten Durchgang noch eine einzige letzte Chance. Es ist wieder einer dieser Momente, in denen es drauf ankommt und in denen ein Tobias Dahm plötzlich voll da ist. So war es bei den letzten deutschen Meisterschaften und auch wieder in Dortmund. Der Sindelfinger legt sich die Kugel zurecht, nimmt einen tiefen Atemzug, tritt in den Ring. Dann gibt er alles. Als die Kugel nach gut neunzehneinhalb Metern aufschlägt, löst sich die ganze Anspannung in einem lauten Schrei. Er hat seine Stärke bewiesen, sich auf den Medaillenrang zurückgekämpft.
Auch die Konkurrenz hat noch jeweils einen Versuch. Doch sowohl Patrick Müller als auch Dennis Lewke können nicht mehr kontern. Tobias Dahm gewinnt mit 19,57 Metern die Silbermedaille. „Der Wettkampf lief für mich nicht wie erhofft. Als alle im sechsten Durchgang Gas gegeben haben, dachte ich mir, es kann nicht sein, dass ich ohne eine Medaille nach Hause gehe“, sagt Dahm. Dass er bei der starken Konkurrenz noch einmal zurückschlägt, freut den 30-Jährigen besonders: „Wenn ich muss, dann funktioniert es. Bei den Deutschen zählt der Platz, auch wenn ich mir eine bessere Weite gewünscht hätte.“
Eine Top-Platzierung geht außerdem an Sabrina Lindenmayer. Wieder einmal springt sie für ihre verletzte Trainingskameradin Nadine Hildebrand in die Bresche. Angespannt geht sie vor allem in den Vorlauf. Wie so oft ist der 60-Meter-Hürden-Endlauf das Ziel. Die starke nationale Konkurrenz macht das zu keiner einfachen Angelegenheit. Doch Lindenmayer erwischt einen ordentlichen Lauf. Mit einer Zeit von 8,41 Sekunden qualifiziert sie sich sicher für das Finale der schnellsten acht.
Merklich lockerer geht die Sindelfingerin schließlich im Endlauf an den Start. In der deutschen Spitze hält Lindenmayer gut mit, nach 8,29 Sekunden stürmt sie ins Ziel und erzielte ihre schnellste Hürdenzeit seit Langem. Wird die VfL-Athletin zunächst auf der Anzeigetafel als Vierte gehandelt, stellt sich das später als Fehler heraus, mit ihrem fünften Platz kann Sabrina Lindenmayer aber gut leben. „Die letzten drei Jahre liefen einfach nur schlecht, jetzt geht es endlich wieder aufwärts“, sagt die Sindelfingerin.
Etwas enttäuscht ist dagegen Janina Dums nach ihrem Auftritt. Mit 23 Jahren absolviert sie ihre allerersten deutschen Meisterschaften und hat sich dabei mehr erhofft. Im zweiten Vorlauf hat sie es über die 60-Meter-Strecke mit starker Konkurrenz zu tun. Die Kwadwo-Schwestern bestimmen das Rennen, daneben hat Dums das Nachsehen. Für sie werden 7,78 Sekunden gestoppt. Vor Augen hat die Sindelfingerin schon das nächste Ziel: Für die Freiluftsaison peilt sie ihre ersten deutschen Meisterschaften unter freiem Himmel an.
Niklas Rippon ärgert sich im Ziel. Er war mit aufsteigender Formkurve angereist, kann das aber im Wettkampf nicht umsetzen. Mit 8,31 Sekunden über die 60-Meter-Hürdenstrecke verpasst er das Finale deutlich. Gleich zwei Auftritte hat Carolina Krafzik. Am Samstag ist sie über die 60-Meter-Hürdenstrecke am Start, am Sonntag dreht sie im 200-Meter-Zeitvorlauf auf. Über die Sprintstrecke mit Hindernissen bleibt sie nur knapp über ihrer Saisonbestzeit und wurde mit 8,66 Sekunden Fünfte des ersten Vorlaufs. Für den 200-Meter-Lauf hatte sich Krafzik vor allem vorgenommen, ins Ziel zu kommen, nachdem sie im vergangenen Jahr in Leipzig auf der blauen Bahn gestolpert und gestürzt war und ihren Lauf abbrechen musste. In Dortmund gelingt ihr nicht nur das: Mit 24,72 Sekunden schafft sie es, sich für das B-Finale zu qualifizieren. Am Nachmittag schließt Krafzik mit 24,63 Sekunden und einem starken Platz sechs das Meisterschaftswochenende für den VfL Sindelfingen ab.
Saskia Drechsel war bei den Wettkämpfen in Dortmund wieder ganz nah dran an den deutschen Spitzenathleten.
Nach ihrem Sieg bei den Süddeutschen zeigte Sabrina Lindenmayer auch in Dortmund eine Klasseleistung.
Sekunden des Glücks: Tobias Dahm schreit nach dem Kraftakt in seinem letzten Versuch seine Freude raus. Bilder: Drechsel Quelle: SZ/BZ-Online