Leichtathletik: Ein Leben zwischen Stadion und Glaspalast

Leichtathletik: Ein Leben zwischen Stadion und Glaspalast

Herbert Bohr, einst Organisator des Internationalen Hallensportfestes Sindelfingen (IHS), ist im Alter von 87 Jahren verstorben

Es gibt fast keinen Job, außer dem des Abteilungsleiters, den Herbert Bohr bei den Sindelfinger Leichtathleten nicht gemacht hat. Am Dienstagabend ist dieses Leben mit 87 Jahren nach einer schweren Krankheit zu Ende gegangen. Ohne Herbert Bohr wären viele der großen Erfolge der VfL-Athleten nicht möglich geworden. Er selbst wurde durch sein Internationales Hallensportfest Sindelfingen (IHS) bekannt.

Seine eigene sportliche Karriere war zwar weniger erfolgreich, aber mindestens genauso ungewöhnlich wie sein weiterer Lebensweg. Geboren in Lodz, war er in der ersten Hälfte der 1950-er Jahre im Trikot der BSG Lokomotive Gera Hammerwerfer und 800-m-Läufer in Personalunion. Er betrieb damit zwei Disziplinen, die sich unter Leistungsgesichtspunkten in einem Körper überhaupt nicht vertragen.

Die Geraer planten einen Vergleichswettkampf im Westen und Herbert Bohr durfte sich den Wettkampfort mit aussuchen. Anhand eines Luftbildes vom damals nagelneuen Floschenstadion entschied er sich für Sindelfingen. Der Wettkampf fand am 28. August 1955 statt. Damals lernte er auch Gertrud und Otto Welker, den späteren Abteilungsleiter der VfL-Leichtathleten, kennen. Als Herbert Bohr im Januar 1956 mit seiner schwangeren Frau die DDR verließ, waren die Welkers nicht nur ihre Anlaufstation, sondern sie nahmen die Flüchtlinge auch bei sich auf.

Jede Menge Ideen

1969 meldete sich Herbert Bohr selbst bei den Sindelfinger Leichtathleten an. Er kam aber nicht nur als Trainer seiner beiden Töchter, sondern übernahm auch gleich (bis 1982) die Funktion des Frauenwarts. Und er brachte jede Menge Ideen mit. Nachdem er dem Schulamt das Einverständnis abgerungen hatte, machte er sich zusammen mit den Schulen auf Nachwuchssuche. „Wir hatten Talenteläufe mit über 1000 Schülern“, erinnert sich Dieter Gauger, einst Dreispringer und heute Ehrenabteilungsleiter.

Außerdem lotste Herbert Bohr Trainer Werner Späth zum VfL – anfangs einmal in der Woche fürs Training mit seinen Hürdenläuferinnen. Die Aufgaben für den Weil im Schönbucher wuchsen und als die spätere Olympiateilnehmerin Heidi-Elke Gaugel das blaue Trikot der SV Böblingen mit dem weißblauen Sindelfinger tauschte, stand Späth täglich auf der Laufbahn.

Einmal die Europameisterschaften und alle paar Jahre die nationalen Titelkämpfe, das war nicht das, was sich Herbert Bohr unter dem Wettkampfleben für den Glaspalast vorstellte. So hob er 1979 das IHS aus der Taufe, quasi als Generalprobe für die EM im Folgejahr. Der Start war etwas zäh, aber irgendwann in den 80ern konnte er melden. „Ausverkauft.“ Neun Hallenweltrekorde sind der Beleg dafür, dass sich Qualität durchsetzt. Bis dann die Dopingdiskussionen ab Ende der 1990er Jahre den Sponsoren und dem Publikum die große Leichtathletik verleideten. Mit einem reinen Stabhochsprung-Meeting gelang es Herbert Bohr 2003 wenigstens noch, die 25. internationale Leichtathletik-Veranstaltung in den Glaspalast zu bringen.

Mehr Erfolg als bei der Finanzierung der großen Veranstaltung hatte er mit seiner Initiative, Geld für die Abteilung einzusammeln. Mit Ernst Gießler und dem inzwischen ebenfalls verstorbenen Eberhard Dengler gründete er nicht nur die Freunde der Sindelfinger Leichtathletik (FSL), sondern auch eine heute noch existierende GbR, um den Geldfluss in steuerlich korrekte Bahnen zu lenken.

Neben Training und Wettkampf waren Herbert Bohr Kameradschaft und Freundschaft immer wichtig. Er organisierte zusammen mit einem Partner Wettkampfreisen für Zuschauer und verschaffte dem Zusammenhalt innerhalb der Abteilung mit den „Ehemaligentreffen“ ein weiteres Standbein. Nach dem Training setzte er sich mit Athleten und Trainerkollegen gerne ins Vereinsheim – war aber berufsbedingt einer der Ersten, der wieder aufbrach. In seiner Zeit als langjähriger Vertriebsleiter der SZ/BZ wollte er dabei sein, wenn die Zeitung gedruckt und ausgeliefert wurde. Selbst wenn zwischen Hobby und Beruf nur eine Stunde Zeit blieb, legte er sich nur mit geputzten Zähnen und im Schlafanzug ins Bett. „Ich muss meinem Körper vorspielen, er könne sich die ganze Nacht erholen. Wenn ich die eine Stunde auf dem Sofa schlafe, fühle ich mich wie gerädert“, erklärte er.

Röhm-Verlag eng verbunden

Für Herbert Bohr war das Alter – solange die Gesundheit mitmachte – nur eine Zahl. 1986 richtete er von der Leichtathletik-Europameisterschaft in Stuttgart den ersten Btx-Dienst ein. Der Bildschirmtext gehörte zu den Vorläufern der E-Mail. Seine eigene Firma, den Bohr-Versand, stellte er als 80-Jähriger ein und dem Röhm-Verlag blieb er nach seiner Tätigkeit als Vertriebsleiter mit Aufgaben in verschiedenen Unternehmen der Mediengruppe bis Ende September 2016 beruflich verbunden. Herbert Bohr hinterlässt mit seinen beiden Töchtern, den Schwiegersöhnen und Enkeln eine kleine eigene Familie sowie eine große Leichtathletik-Familie. Eine offizielle Trauerfeier wird es seinem Wunsch entsprechend nicht geben und seine Urne wird anonym bestattet.

„Obwohl Hebo 20 Jahre älter war als ich, hatte ich nie den Eindruck, mit einem ‚Alten‘ zu arbeiten. Im Geiste war er jung, spontan, kreativ, visionär. Beeindruckend seine politische Grundhaltung. Hebo hatte eine sozial orientierte Einstellung. Seine Sicht der Dinge hatte auch auf mich großen Einfluss gehabt. Mit großer Anerkennung hatte er nach der Flüchtlingskrise in Deutschland und dem Aufkommen der AfD die Aktion „Wir gegen Rechts“ gegründet’“, sagt Dieter Locher, stellvertretender VfL-Abteilungsleiter sowie langjähriger Wegbegleiter und Freund von Herbert Bohr.

Bild: Herbert Bohr starb nach schwerer Krankheit im Alter von 87 Jahren. Bild: z

Quelle: SZ/BZ-Online