Behinderten- / Rehasport: „Nur wer sich kennt, kann sich ändern“

Quelle: SZ-BZ Online
„Burn-out – Wie kann der Sport helfen?“ Diese Frage stellt und beantwortet Ute Steinheber. Im VfL Sindelfingen leitet die Althengstetterin die Abteilung Behinderten- und Rehabilitationssport des VfL Sindelfingen. Außerdem ist sie Vorstandsmitglied der Initiative Burn-out.
Mutter, Ehrenamt, Lehrerin und Leistungsschwimmen: Ute Steinheber weiß, wie sich Druck anfühlt. Nach 20 Jahren chronischer Erschöpfung und einer fortweg schmerzenden Wirbelsäule brach sie 2007 mit schweren Depressionen zusammen. Eine Operation im Vorfeld schaffte Erleichterung. Doch weitere Überlastung und Unverständnis im persönlichen Umfeld führten in Burn-out. Mutig begab sie sich auf den Weg heraus und veröffentlichte ihren Erfahrungsbericht unter dem Titel „Tarnkappe – Schmerz und Depression überwinden. Durchhalten mit Sport.“ Der 2010 verstorbene Tübinger Sportwissenschaftler Dr. Franz Begov begleitete sie und fügte wissenschaftliche Erklärungen bei. Heute Abend referiert sie über das Thema in der Sportwelt in Sindelfingen. Die SZ/BZ hat sich im Vorfeld mit der 59-Jährigen unterhalten.
Wie wichtig ist es, die Ursachen zu kennen, um Burn-out zu überwinden oder besser, ihn zu vermeiden?
Ute Steinheber: „Das ist sehr wichtig. Man muss wissen, welches Verhalten dazu geführt hat. Nur dann kann man bewusst an sein Schema ran gehen. Es ist logisch: Nur wer sich kennt, kann sich ändern.“
Irgendwann kommt der Punkt, an dem nichts mehr geht
Haben Sie diese Erfahrung selbst gemacht?
Ute Steinheber: „Ja. Nach meiner Operation erholte ich mich nur sehr langsam. Dann fand ich mich schnell wieder zurück auf der Leistungsschiene, und es kam zum Crash. Mutter, Beruf, Ehrenamt, Sport, Leistungssport, alles zusammen. Irgendwann kommt der Punkt, an dem nichts mehr geht.“
Wenn es soweit ist, ist es zu spät. Merkt man eigentlich schon vorher, dass man einen ganz schlechten Weg beschreitet?
Ute Steinheber: „Es gibt Anzeichen. Hoher Blutdruck zum Beispiel, Pulsrasen, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit. Das spürt man schon, aber man muss es auch wahrhaben wollen.“
Gibt es noch deutlichere Anzeichen?
Ute Steinheber: „Zum Beispiel, wenn man darauf angesprochen wird, man habe sich verändert, ziehe sich zurück, habe auffällig viel zu- oder abgenommen. Das kann der Partner oder der Kollege sein. Spätestens jetzt sollte man reagieren – auch wenn man es eigentlich nicht wahrhaben will.“
Wohin geht dann der erste Weg?
Ute Steinheber: „Erster Anlaufpartner ist der Hausarzt, der kennt einen am besten und kann entscheiden, ob eine dreiwöchige Kur oder Reha ausreicht, oder ob ein Psychiater und eine Fachklinik das Richtige sind. In leichteren Fällen reichen dann auch ein Besuch beim Psychologen oder Heilpraktiker und ein paar Gespräche in einem geschützten Raum. Gute Ansprechpartner sind auch ein Betriebsarzt oder ein Personalrat, wenn das Problem an den Arbeitsbedingungen liegt. Es ist vor allem wichtig, schnell zu reagieren.“
Haben Sie das auch getan?
Ute Steinheber: „Ich habe das zu spät gemacht. Und dann war ich von meinem Hausarzt auch noch schlecht beraten. Er hat mir gesagt, ich sei eine starke Persönlichkeit und schaffe das schon. Das war ein ganz großer Fehler. Ich hätte schon viel früher zurückrudern müssen.“
Haben sich die Ärzte geändert?
Ute Steinheber: „Heute sind sie viel sensibler und wissen, dass es sich um ein Massenphänomen handelt. Komisch, dass es trotzdem fast immer noch unter den Teppich gekehrt wird anstatt dazu zu stehen.“
Sie selbst haben Ihr Buch „Tarnkappe“ unter dem Pseudonym „Petra Levator“ geschrieben. Warum?
Ute Steinheber: „Aus Rücksicht auf meine Familie. Weil wir in einer damals schwierigen Zeit nicht soviel Persönliches preisgeben wollten. Petra Levator fand ich dabei gar nicht so schlecht. Petra steht für Stein, Levator für Heber.“
Sie schreiben darin ausführlich über die Mehrfachbelastung – und raten jetzt noch Sport drauf zu setzen.
Ute Steinheber: „Sport ist ein Kompensationsmittel, hilft, den Blutdruck und den Puls zu senken oder Adrenalin und Cortisol abzubauen.“
Sind alle Sportarten hilfreich?
Ute Steinheber: „Es sollte Ausdauersport sein. Radfahren, Schwimmen, Joggen oder Spazierengehen, da bekommt man frische Luft und den Kopf frei, der Körper ermüdet und man kann besser schlafen.“
Die Leistungsgesellschaft vernichtet immer mehr Leistungsträger
Gibt es auch Sportarten, die kontraproduktiv sind?
Ute Steinheber: „Wenn man sich psychisch überlastet fühlt, ist Leistungssport generell nicht gut. Denn dann kommen Leistungsdruck, Erwartungsdruck und Trainingsdruck hinzu. Das kann auf Dauer nicht gut gehen.“
Gibt es eine Botschaft, die Sie auf jeden Fall loswerden wollen?
Ute Steinheber: „Man soll sich nicht so sehr unter Erwartungs- und Leistungsdruck setzen und sich mehr Zeit zum Leben und Genießen nehmen. Leider ist es heute so, dass junge Mütter möglichst schnell zurück in den Beruf sollen. So ist das Rollenverständnis, das immer häufiger und früher zu Erschöpfung und Depressionen führt. Und bei den Männern sieht es nicht besser aus. Die Leistungsgesellschaft vernichtet immer mehr Leistungsträger. Das ist eine Besorgnis erregende Entwicklung, der man gegensteuern muss.“
Info
Mehr zur Initiative Burn-out gibt es im Internet unter www.burnout-ibo.de. Der Vortrag „Burn-out – Wie kann der Sport helfen?“ beginnt am heutigen Donnerstag um 19Uhr in der Sportwelt am Sindelfinger Glaspalast. Der Unkostenbeitrag von fünf Euro ist vor Ort zu bezahlen, für Sportwelt-Mitglieder ist der Vortrag kostenlos. Unter dem Namen Petra Levator hat Ute Steinheber das Buch „Tarnkappe – Schmerz und Depression überwinden. Durchhalten mit Sport.“, veröffentlich 2010, erschienen im Knirsch Verlag. ISBN: 978-3-927091-84-9, siehe auch unter www.petra-levator.de
Nach schweren Jahren ist die ehemalige Leistungsschwimmerin Ute Steinheber wieder im Gleichgewicht. Heute Abend hält sie in der Sindelfinger Sportwelt einen Vortrag zum Thema „Burn-out – Wie kann der Sport helfen?“. Bild: z