Leichtathletik: Der Riese hat schon wieder Großes vor

Leichtathletik: Mit neuen Trainern, neuer Technik und frischem Schwung nimmt Tobias Dahm Anlauf für Olympia 2020 in Tokio / Erste Etappe am Samstag im Glaspalast

Nicht nur wegen seiner 2,03 Meter ist Tobias Dahm ein Riese, er leistet schlichtweg Überragendes und holt schon wieder aus. Nach Rio 2016 nimmt der Kugelstoßer des VfL Sindelfingen Anlauf für Tokio 2020. Olympia ruft ein zweites Mal, dafür trainiert er knüppelhart, nachdem er seine Arbeit beim Daimler in Sindelfingen beendet hat. Jeden Tag. So wie immer und doch ganz anders als bisher.
Am kommenden Samstag wird sein Auftritt beim Stadtwerke-Meeting im Glaspalast ein erster Gradmesser dafür sein, ob der neue Weg ins Ziel führen kann. 16 Jahre lang hatte er auf seinen Mentor Peter Salzer gehört, der den Hünen zum 20-Meter-Stoßer machte. Die Krönung waren die Olympischen Spiele in Brasilien, bei denen Tobias Dahm im Feld der Vollprofis die Qualifikation nicht überstand. „Das lief nicht so, wie ich es mir erhoffte“, sagt der 31-Jährige, der damals aber eine bärenstarke Saison ablieferte. Zehnmal knackt er im Jahr 2016 die 20 Meter, „zum Ende des Jahres war ich so gut wie nie“, sagt Tobias Dahm. Dann der große Knall am Silvester-Vorabend: Die Achillessehne reißt.

„Viel zu verdanken“

Die Geschichte ist oft erzählt, später folgt ein Bandscheibenvorfall, doch der Sindelfinger kämpft sich zurück – und will stärker werden, als er es jemals war. Um das zu schaffen, setzt er auf neue Kräfte. Die ganz enge Zusammenarbeit mit Peter Salzer ist seit Oktober Geschichte. „Ich habe ihm so viel zu verdanken“, sagt Tobias Dahm. So ganz trennen sich Mentor und Schüler nicht, Absprachen in Sachen Trainingsgestaltung gibt es weiterhin, der Rat und Wert der VfL-Coaches ist kaum zu messen. Den Ton geben jetzt aber andere an.
Mit Artur Hoppe und Markus Reichle sind es zwei Weggefährten, die Tobias Dahm anschieben sollen. Bei Markus Reichle ist das fast bildlich zu sehen, schließlich kennt er sich auch als Bob-Anschieber im Europacup aus. Er übernimmt den Sprint- und Technikpart. Artur Hoppe wiederum kümmert sich innerhalb seiner Aufgabe als DLV-Bundesstützpunkttrainer in Stuttgart um den Kraft- und Athletikpart.
Die neuen Einflüsse zeigen Wirkung: „Ich spüre Muskeln, die ich vorher nicht kannte“, sagt Tobias Dahm im Oktober. Jetzt, rund drei Monate später, machen sich die vielen sensomotorischen Einheiten bezahlt. Die vielen Übungen auf wackeligem Grund haben die Rumpfstabilität deutlich verbessert. „Mein Körper fühlt sich anders an“, sagt Tobias Dahm. Auch das Verhältnis zwischen Kniebeuge und Beinpresse hat sich verändert, weil die Schwachstelle Knie sich mittlerweile gelegt hat. „Insgesamt sind die Kraftwerte so, dass ich sage: Wir sind gut unterwegs“, so Tobias Dahm. Bestätigt wird er dabei bei den Tests mit der schweren Kugel. Sowohl das 8-, als auch das 8,5-Kilo-Sportgerät liegen sauber in der Luft.
Wie es mit der 7,257 Kilogramm schweren Wettkampf-Kugel aussieht, steht auf einem anderen Blatt. „Kraft lässt sich nie eins-zu-eins in Weite übertragen“, sagt der Athlet, der selbst noch nicht genau weiß, wo er steht. Zumal er seine Technik komplett verändert hat. Der Laie wird das beim Meeting im Glaspalast nicht erkennen, aber die Füße stehen anders. Und auch sonst ist vieles neu. „Ich wollte neue Impulse“, sagt Tobias Dahm zu seinem jahrelangen Kampf um Zentimeter.

Alle Kraft für Tokio

Am Samstag in Sindelfingen geht es demnach vor allem darum, mal wieder Wettkampfluft zu schnuppern. Natürlich soll es auch weite Stöße geben. Doch wenn nicht, geht die Welt auch nicht unter. Die Ziele liegen weiter weg. Zum Beispiel die Europameisterschaften in Glasgow vom 1. bis zum 3. März, dann auch die WM in Katar. Vor allem aber Tokio 2020, denn darauf ist alles ausgerichtet.
Dann darf es auch ein bisschen mehr sein als das Aus in der Quali. „Ich will da hin, mich mit den Besten der Welt messen. Und dann bin ich dort kein Neuling mehr“, sagt Tobias Dahm. Erfahrener, abgezockter, stabiler. So sieht sich der Feierabendsportler aus Sindelfingen in anderthalb Jahren, der deshalb jeden Tag nach der Arbeit zum Training nach Stuttgart fährt.
Zum zweiten Mal Olympia, das wäre mit der Kugel der Hammer. So olympisch wie einst die jamaikanische Bobmannschaft durfte er sich aber erst sehr spät fühlen in Rio de Janeiro. Beim Einmarsch der Nationen war er noch daheim, weil sein Wettkampf erst begann, als die Spiele fast schon wieder vorbei waren. „Und bis dahin bist Du einfach im Tunnel, komplett fokussiert. Die Stimmung im Dorf saugst Du da nicht auf“, denkt er zurück. Aber dann, ganz am Ende, als die Sportler bei der Abschlussfeier feuchte Augen bekamen und das olympische Feuer erlosch, „da überkommt Dich eine Stimmung, die man einfach nicht beschreiben kann. Das ist einmalig.“
Einmalig? Tobias Dahm setzt alles daran, dass es in Tokio die Fortsetzung gibt. Mit neuem Trainerstab, neuer Technik, mehr Power und mehr Erfahrung will der Feierabend-Vorzeigeathlet den Vollprofis zeigen, wo der Hammer hängt. Ein erstes Puzzleteil legt er beim Hallenmeeting am Samstag in den Sindelfinger Glaspalast.
Ein Mann trainiert nach Feierabend und will schon wieder nach Olympia – das ist eine faszinierende Geschichte, findet Jürgen Wegner
Quelle: SZ/BZ-Online