Leichtathletik: Bei den deutschen U20-Meisterschaften präsentiert sich der Kern künftiger Olympia-Nationalmannschaften / 8 Sindelfinger setzen ab Samstag auf den Heimvorteil
„Wir erleben den Kern der Olympiamannschaft von 2024 und 2028“, sagt U20-Bundestrainer Dietmar Chounard. Er ist gespannt auf den Auftritt des Leichtathletik-Nachwuchses bei den deutschen Meisterschaften am Wochenende. Die 1000 besten Athleten messen sich im Sindelfinger Glaspalast und dem Floschenstadion. Dabei ist auch reichlich Spitzenklasse am Start.
Stefan Volzer ist einer dieser Ausnahmeathleten. Der Hürdensprinter des VfL Sindelfingen führt die deutsche Rangliste mit Abstand an, liegt weltweit auf Platz drei – und hat gestern Abend noch eine ganz andere Hausnummer erlebt. Beim Meeting in Düsseldorf durfte er bei den Aktiven im Feld der Weltelite mitlaufen. An den Druck eines Favoriten hat er sich in seinen Altersklassen gewöhnt: „Damit umzugehen, ist Teil des Prozesses“, sagt der Mann, der ähnliche Ziele verfolgt wie die Ludwigsburgerin Sharon Enow Abio, die ihrer Konkurrenz über die Hürden ebenfalls davonläuft.
Auch sie will hoch hinaus, fokussiert sich auf sich selbst und blendet aus, was andere erwarten. „Das ist mir egal“, sagt eine 18-Jährige, die ebenfalls das Zeug für große Sprünge hat. Dabei ist noch nicht einmal klar, ob sie künftig über die Hürden, die Hochsprunglatte oder im Mehrkampf angreift. Beide haben gefühlt um die Ecke ein Heimspiel. Was das bedeutet, weiß der 24-jährige Weitsprung-Star Fabian Heinle, der auch keine halbe Stunde brauchte von seiner Wohnung in Musberg bis in den Glaspalast. Dort war er zuletzt bei den Süddeutschen am Start, bevor er in Leipzig deutscher Meister wurde. Er kennt die WM-Atmosphäre von Peking und Olympia in Berlin, sagt aber: „Daheim ist es am Schönsten. Der Wahnsinn, wenn alle dich pushen.“
25-mal DM
Das kann also etwas werden im Glaspalast, der am Wochenende zum 25. Mal Ort einer deutschen Meisterschaft ist. 13-mal für die Aktiven, jetzt macht die Jugend das Dutzend voll, selbst eine Europameisterschaft erlebte der Sporttempel und zahlreiche internationale Sportfeste mit all den Superstars. VfL-Abteilungsleiter Jürgen Kohler kann sich auf über 50 Helfer und noch weitere Kampfrichter verlassen, die das möglich machen. „Die sind alle schnell bereit, Das ist klasse. Viele machen das auch schon lange und wissen genau, was zu tun ist“, freut auch er sich auf tolle Tage.
Das Feld ist also bestellt für reiche Ernten. Und weil die Stadt neben dem neuen Kunstrasen in der Rosenstraße auch die Leichtathletik-Nebenanlagen hergerichtet hat, kommen jetzt auch die Langwerfer – Diskus, Hammer, Speer – zurück nach Sindelfingen, um sich im Floschenstadion statt in Stuttgart zu messen. Die Stadt ist mittendrin, ihre Sportstätten für die Zukunft fit zu machen (siehe auch: „In 3 Jahren soll alles fertig sein“). Die 25. deutschen Meisterschaften sollen somit nicht die letzten sein – zumal die Sindelfinger Leichtathleten nächstes Jahr ihren 100. Geburtstag feiern. Was da noch alles kommt? „Das hängt auch immer von den Anforderungen ab. Wir sind jedenfalls immer gesprächsbereit und freuen uns über jede Anfrage“, sagt Sportamtsleiter Christian Keipert.
Die Sindelfinger Athleten:
•Samstag, 10.20 Uhr: Zu Antonia Greb gibt es schon vor ihrem Start über die 1500 Meter eine erzählenswerte Geschichte. „Auf einmal stand sie da und sagte: ‘Ich möchte laufen.’ So ging das los, und es ist noch nicht lange her“, erinnert sich die VfL-Geschäftsführerin Barbara Erath auf die Anfänge der Quereinsteigerin. VfL-Trainer Harald Olbrich war schnell angetan und überzeugt.
•Samstag, 10.45 Uhr (60 Meter), Sonntag, 10.45 Uhr (200 Meter): Lea Creuzberger fliegt mit Rückenwind heran. Die 17-Jährige war am Wochenende bei den deutschen Meisterschaften der Aktiven in Leipzig noch Schlussläuferin der Sindelfinger Rundenstaffel. „Es war mega, vor so vielen Zuschauern zu laufen“, sagt das Leichtgewicht aus Altdorf, das die eigene Bestzeit von 25,23 Sekunden über 200 Meter unterbieten möchte. In Leipzig sah das bei ihr schon ziemlich gut aus. Obwohl es bei einem ziemlich chaotischen Wechsel reichlich Gedränge gab, lief sie fliegend um die 25 Sekunden. Am Sonntag geht die Schönbuch-Gymnasiastin außerdem über die 60 Meter an den Start
•Samstag, 13.45 Uhr: Wie sich Edelmetall anfühlt, weiß die Speerwerferin Nina Nawroth noch vom letzten Jahr, als sie sich nach den deutschen Winterwurfmeisterschaften in Halle mit Bronze schmückte. „Wenn es gut läuft, könnte sie das wiederholen“, sagt Barbara Erath über die Werferin, die sich am Olympiastützpunkt bei Landestrainer Markus Reichle den letzten Schliff holt.
•Samstag, 14 Uhr: Es scheint, als hätte die 18-jährige Kugelstoßerin Josefine Klisch gerade noch rechtzeitig ihre Bänderverletzung überwunden. Jedenfalls brennt der Neuzugang aus Hannover darauf, ihrem neuen Heimpublikum zu zeigen, was sie drauf hat. Und das ist eine Menge. Barbara Erath: „Eigentlich ist sie eine Medaillen-Kandidatin. Aber es ist halt auch ihr erster Wettkampf. Wir sind gespannt.“
•Samstag, 14 Uhr: Hammerwerfer Lars Böttinger scheint schwierig einschätzen. Der Renninger gehört wie sein sechs Jahre älterer Bruder Jens seit Jahren zur VfL-Familie. Beide treten damit in die Fußspuren ihres Vaters Heiner. Das Trio hat was auf der Pfanne, was bei Lars Böttinger am Wochenende heraus kommt, scheint offen.
•Samstag, 15.30 Uhr: Stefan Volzer, Topfavorit im Hürdensprint. Über ihn ist schon vieles gesagt. Er selbst meint: „Natürlich will ich gewinnen. Alles andere wäre eine Enttäuschung.“
•Sonntag, 11 Uhr: Der große Name ihrer Mutter ist hinlänglich beschrieben. Bei Atlanta 1996 wurde Birgit Hamann zur olympischen Hürdensprinterin. Tochter Jacqueline Hamann überraschte nach langer Verletzungspause bei den süddeutschen U18-Meisterschaften mit einer Silbermedaille und neuer persönlicher Bestleistung: Mit einer Höhe von 3,65 Metern steigerte die VfL-Athletin ihren Hausrekord, den sie als deutsche U16-Vizemeisterin bereits 2017 erzielt hatte, um zehn Zentimeter. „Wenn sie ihre Höhe bestätigt, wäre es schon klasse. Sie gehört ja auch noch zu den Jüngsten im Feld“, sagt Barbara Erath, die damit rechnet, dass Medaillen etwa ab 3,80 Meter vergeben werden. Selbstverständlich begann Jacqueline Hamanns Karriere auch bei den Speedys. Dort ging es im Alter von vier Jahren los. Bei der U16-DM holte sie 2017 Silber.
•Sonntag, 13.45 Uhr: Ein ganz interessanter Athlet ist Paul Specht. Der Unterrieden-Gymnasiast kam ebenfalls einst in Birgit Hamanns Speedy-Schule auf Trab und ist jetzt schon konstant für schnelle Zeiten gut, dabei gehört er am Wochenende zu den Jüngsten im Glaspalast. Der 3000-Meter-Läufer dürfte nicht nur bei der U18 starten, er hatte auch noch erst im Dezember seinen 16. Geburtstag – und ist damit geradeso alt genug, um bei den U20-Meisterschaften mitzumachen. Paul Specht gilt als einer, der das Herz in die Hand nimmt. Der Altersunterschied dürfte trotzdem ein bisschen zu groß sein. Sein Fokus liegt sowieso eher auf den deutschen Crossmeisterschaften am 9. März in Ingolstadt. Paul Specht wurde 2017 in Bremen bei U16 bereits deutscher Meister über 3000 Meter.
Jürgen Wegner hat bei einigen Athleten schon die Vorstartstimmung gespürt. Das Wochenende verspricht heiß zu werden.