Judo: Die Rasselbande lernt den sanften Kampf

Judo: Der VfL Sindelfingen macht Nachwuchsarbeit in den Kindertagesstätten und vermittelt dabei Werte wie Respekt, Mut oder Bescheidenheit

Der Wackelzahn ist jetzt draußen. An Fasching muss man auch als Mädchen keine Prinzessin sein. Batman ist immer noch voll im Trend. Aha. Thomas Wild hat mal wieder dazu gelernt, doch in die Tiefe darf das an dieser Stelle nicht gehen. Denn heute ist Judo-Tag, da bleibt wenig Zeit für Plaudereien, vor allem nicht jetzt auf der Matte.
Thomas Wild ist hauptamtlicher Trainer bei den Jodukas des VfL Sindelfingen, sein Zeitplan ist straff und die Vormittage gehören den Kleinsten. Diese haben den Weg in den Glaspalast noch nicht gefunden, weshalb sich die mit nationalen und internationalen Medaillen hochdekorierte Abteilung in die Kitas aufmacht. Fünf Einrichtungen hat Thomas Wild auf seiner Liste, der heutige Morgen gehört der Kindertagesstätte Friedrich-Ebert-Straße.
Im Dreischichtbetrieb geht es auf die Matten. Während Thomas Wild diese auslegt, linsen die ersten Steppkes durch die Scheibe. Das ist wohl immer so. „Die Kinder freuen sich immer sehr auf das Judo“, sagt Kita-Leiterin Katrin Kroschwald, „sie wollen einfach ihren Bewegungsdrang ausleben.“ Zusammen mit der Turneinheit am Freitag klappt das hier richtig gut, aber da ist noch mehr, wovon das Haus und damit auch die Kinder profitieren. Respekt, Höflichkeit, Mut oder Toleranz gehören zu den Judo-Werten, die Thomas Wild immer wieder aufs Tableau bringt. Judo, das ist eben buchstäblich ist der sanfte Weg. Mal reden alle am Schaubild darüber, dann werden die Werte in die Übungen eingebunden, das immer spielerisch. In manchen Kitas wie in der Banater Straße oder im Grünäcker hängen die Judo-Werte immer aus.
Spinnen und Schlangen
9.15 Uhr, es geht los, es ist vogelwild, aber gleich ist die Rasselbande gezähmt. Aufgezogen wie an einer Perlenschnur stellen sich die Jungs und Mädels in die Reihe und zappeln doch wie Rennpferde vor dem Start. Ein Ritual hilft, die Mütchen zu kühlen. Wie jede Judoeinheit startet auch diese mit der Begrüßung und der Verbeugung, es geht auf die Knie, das linke zuerst, die Kinder sind angekommen. Dann schlängeln sich Schlangen über den Boden, dann laufen dicke Bären um die Wette, dann fangen tapsige Eisbären flinke Robben und Spinnen krabbeln rücklings durch den Raum.
Die Kinder wissen nicht, dass sie ihre Koordination schulen, sich kräftigen und beweglicher werden, dass sie am Tempo feilen und ihre Balance verbessern. Alle sportlichen Leistungsfaktoren sind angesprochen, und ohne es zu wissen, geht es jetzt schon darum, die Balance des Gegners zu brechen. So wie später beim VfL, zu dem im Schnitt stattliche 20 Prozent der Kinder den Weg finden. Und das auch noch ziemlich erfolgreich. Seit sechseineinhalb Jahren bietet die Abteilung das Programm an, und die ersten, die damals in der Sommerhofen-Kita in die Sparte schnupperten, sind heute Württembergische Meister und treten bei den Süddeutschen an.
Lehre fürs Leben
Das wiederum darf nicht der alleinige Gradmesser sein. Thomas Wild, der aufpasst wie ein Luchs und mindestens mit Auge, manchmal auch einem helfenden Griff nah bei den Kindern bleibt, nennt am Mattenrand einen anderen Indikator für den Erfolg. „Viele Kinder kommen in die Schule oder sind schon in den ersten Klasse und können keinen Purzelbaum. Hier lernen sie es mit vier Jahren.“ Auch üben sie hinzufallen, ohne sich weh zu tun oder bekommen ein Gefühl für den Körperkontakt. Der eine traut sich näher ran, die andere, wie stark oder sanft sie zupacken darf. Und alles bleibt ein Spiel. Grenzen verschwinden, Scheuklappen fallen, Selbstvertrauen wächst auch in dieser Einrichtung, in der knapp 20 Nationalitäten Freundschaften schließen und der Migrantenanteil bei rund 80 Prozent liegt.
Die Abteilung legt sich dafür mächtig ins Zeug und nimmt Geld in die Hand. Etwa 35 Prozent ihrer Arbeitszeit investieren die Trainer Frixos Raidos und Thomas Wild in die Besuche, bei denen sie pro Kita 30 Matten verlegen. Jede einzelne kostet etwa 65 Euro.
Dann findet sogar so etwas wie ein Bodenkampf statt, was die Kinder nicht wissen, weil sie „Karotten ziehen“. An den Füßen versuchen sie, ihre Freunde auseinanderzureißen, die sich an den Händen festhalten. In der nächsten Übung geht es darum, sie von der Bauch- auf die Rückenlage zu drehen. Dafür müssen sie Stützen einbrechen lassen, also den anderen aus der stabilen Lage und dem Gleichgewicht bringen. Das ist fast richtiges Judo, auch wenn die Kämpfe im Stehen und die Würfe auf der Matte noch tabu sind. „Das wäre zu gefährlich, und dann würden wir die Kinder verlieren“, sagt Thomas Wild – während zwei Mädchen aus der nächste Gruppe bereits grinsend durch die Scheibe linsen.
Das Projekt: 
Derzeit besuchen die Trainer des VfL Sindelfingen 8 Kindertagesstätten. Frixos Raidos ist montags in Dachtel und dienstags in der Kita Stelle Roter Berg und in der Sommerhofenstraße. Thomas Wild besucht montags die Banater Straße im Hinterweil und die Karl-Hummel-Kita im Eichholz, dienstags die Friedrich-Ebert-Straße, mittwochs den Nikolaus-Lenau-Platz im Hinterweil und donnerstags das Grünäcker. Insgesamt erreicht die Abteilung auf diesem Weg 154 Kinder, für zwei weitere Kindertagesstätten gibt es Potenzial. Auskunft es per Mail an servicepoint@judosindelfingen.de oder die Telefonnummer 0176/44 48 00 12. Unter lena.zein@judosindelfingen.de gibt es speziell für Firmen Infos zu weiteren sozialen Projekten der Abteilung.