Leichtathletik: Der Sindelfinger Kugelstoßer hofft, dass die Paralympics in Tokio auf 2021 verschoben werden / Der 25-Jährige wollte das Untergeschoss eigentlich nur aufräumen
Der Keller sollte mal aufgeräumt werden, dieser Satz geht vielen immer wieder durch den Kopf. Umgesetzt wird der Gedanke aber eher selten. Niko Kappel ist hingegen zur Tat geschritten, hat seinen Keller auf Vordermann gebracht. „Ich war richtig stolz, als ich das erledigt hatte“, sagt der 25 Jahre alte Kugelstoßer des VfL Sindelfingen, Goldmedaillen-Gewinner der Paralympics 2016 und Weltmeister 2017. Den freigeräumten Platz nutzte er, um sich einen Trainingsraum einzurichten. „Bisher war der Keller immer eine Abstellkammer“, sagt Kappel, nun befinden sich darin Hanteln unterschiedlicher Größe, Gewichte auf einer Ablage, eine Langhantel. Kappel: „Das habe ich mir vor einigen Tagen nach und nach gekauft.“
Niko Kappel hat wie viele andere aufgrund der Corona-Pandemie Zeit. Also ging er das Thema an, und damit traf er eine richtige Entscheidung. Denn der Welzheimer kann wie alle seine Sportlerkollegen auch, derzeit nirgends trainieren. Die Sportstätten sind geschlossen. „Ich wüsste gar nicht, wo es einen Wurfring gibt. Ich hätte in den jetzigen Zeiten auch kein gutes Gefühl, irgendwo auf einer Wiese zu trainieren und ich wüsste auch gar nicht, ob man das noch darf“, sagt Kappel. Also hat er sein Training ins Untergeschoss verlagert.
Aber wie sieht es mit dem Training an der Kugel aus? Die Abläufe müssen immer wieder durchgespielt, automatisiert werden. Kappel wurde bei seinen Eltern fündig, er entdeckte dort „eine alte Drei-Kilogramm-Hallenkugel“. Und dann gibt es noch eine alte Turnmatte, die bei Kappel eingelagert war. Die Matte kommt nun an eine Wand. „Ich werde im Keller die Drehbewegung und eine leichte Stoßbewegung machen können“, sagt Kappel. Im Regelfall trainiert Kappel fünf Stunden täglich, derzeit hat er sein Pensum auf etwa zweieinhalb Stunden am Tag reduziert.
Kappels großes Ziel in diesem Jahr ist die Teilnahme an den Paralympischen Spielen in Tokio. So sie denn überhaupt stattfinden. Das Internationale Olympische Komitee mit dem Deutschen Dr. Thomas Bach an der Spitze irrlichtert derzeit allerdings herum: Anstatt wie viele andere Sportverbände vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie konsequent zu agieren und die Veranstaltung abzusagen und zu verschieben, hält es noch wie ein trotziges Kind an seiner Schaufel an den Spielen fest. Niko Kappel, er ist Athletensprecher der deutschen paralympischen Sportler, fordert, dass „jetzt eine Entscheidung getroffen werden muss, damit sich auch die Paralympics-Sportler weltweit ihrer sozialen Verantwortung widmen können, frei vom Druck, den eigenen Traum einer erfolgreichen Paralympics-Teilnahme zu gefährden.Wenn wir ehrlich sind, gibt es aktuell doch viel wichtigeres als Sport. Ich bin für eine Verlegung der Paralympics wie selbstverständlich auch der Olympischen Spiele auf einen klar planbaren Termin, am besten ins Jahr 2021. Welchen sportlichen Wert haben die Olympischen Spiele und die Paralympics, wenn sich die Sportler in einigen Ländern überhaupt nicht darauf vorbereiten können, andere Länder hingegen bisher vom Coronavirus noch weitgehend verschont geblieben und Trainingsstätten noch geöffnet sind. Nach welchen Kriterien werden die Athleten nominiert, die Qualifikationswettbewerbe sind abgesagt? „Alles andere als eine Verlegung macht keinen Sinn“, sagt daher Kappel.
Der 25-Jährige gelernte Bankkaufmann ist derzeit von seinem Arbeitgeber freigestellt, er ist Profisportler. „Ich bin auch ein Kleinunternehmer“, sagt Kappel, der einige Sponsoren als Partner hat, der aber auch als Redner für Vorträge gebucht wird. Und eben dieser Part ist bei ihm wie bei vielen anderen Einzelunternehmern derzeit auf null gesetzt. „Ich spüre das wirtschaftlich“, sagt Kappel. Er habe zu seinen Partnern allerdings ein enges Verhältnis, mit ihnen unterhalte er sich offen über diese Problematik. In diesem Zusammenhang lobt der Weltklasse-Athlet die Entscheidung der Regierung, der Wirtschaft und dort auch den Einzelunternehmern, finanziell unter die Arme zu greifen.
Quelle: SZ/BZ-Online