Leichtathletik: Auch wenn Corona den Wettkampfkalender auf den Kopf stellt: Constantin Preis vom VfL Sindelfingen nimmt Olympia 2021 und Harald Schmids Fabelzeit ins Visier
Normalerweise wäre Constantin Preis mitten in der Freiluftsaison. Doch wegen Corona muss sich der Deutsche Meister über 400-Meter-Hürden vom VfL Sindelfingen mit Trainingsläufen begnügen. Auch sein großes Ziel, Olympia in Tokio, verschiebt sich um ein Jahr. Immerhin: Die Deutschen Meisterschaften gehen jetzt doch im August über die Bühne.
Im Sindelfinger Floschenstadion ist wenig los an diesem Vormittag. Nur zwei Männer trotzen dem Dauerregen und ziehen ihr Programm durch: Trainer Sebastian Marcard und sein Schützling, der Hürdenläufer Constantin Preis. Seit Freitagabend hat das Gespann vom VfL Sindelfingen endlich wieder konkrete Ziele, für die sie täglich schuften. „Die Deutschen Meisterschaften in Braunschweig am 8. und 9. August“, sagt Constantin Preis, für den es gilt, über die Hürdenrunde seinen Titel zu verteidigen.
Auch Coach Sebastian Marcard ist froh, dass es langsam auch in der Leichtathletik wieder eine Art Rhythmus gibt. „Kurz nachdem Constantin im März aus dem Trainingslager in der Türkei zurückkam, hat die Corona-Pandemie Europa voll erfasst. Von heute auf morgen waren sämtliche Sportanlagen geschlossen. An reguläres Training, geschweige an die geplanten Wettkämpfe war nicht mehr zu denken“, blickt Marcard zurück.
Irres Tempo im Wald
Fortan hieß es für das VfL-Gespann: Waldweg statt Laufbahn. „Wir haben wochenlang jeden Tag im Wald trainiert. Weil es sowohl von Constantins Wohnort Pforzheim als auch von meinem in Pliezhausen gut erreichbar ist, haben wir unsere Läufe meist rund um die Waldau in Degerloch gemacht“, sagt der 43-jährige Leichtathletiktrainer und ergänzt: „Es kam oft vor, dass sich die spazierenden älteren Herrschaften überrascht gezeigt haben, mit welchem Tempo da einer an ihnen vorbeischießt.“
Erst Mitte Mai ging es für Preis und Marcard zurück auf die Kunststoffbahn. „Das war einfach geil, wieder täglich über die Hürden sprinten zu können. Verlernt hatte ich es zum Glück nicht“, sagt Constantin Preis, der im Alter von 13 Jahren mit seiner Familie aus Moldawien nach Deutschland kam und über die Bundesjugendspiele und den TV Pforzheim zur Leichtathletik und letztlich zum Hürdenlauf fand.
Mittlerweile ist der 22-Jährige wieder mittendrin im von Sebastian Marcard ausgeklügelten Trainingsrhythmus, um möglichst schnell wieder Bestzeiten auf die rote Laufbahn zu hämmern. Das große Ziel hat Preis dabei nicht aus den Augen verloren, auch wenn es plötzlich ein Stückchen weiter weg ist. „Die Olympischen Spiele in Tokio, jetzt eben erst im Sommer 2021“, sagt Sebastian Marcard, der sich zuversichtlich zeigt, dass sein Schützling auch ein Jahr später nach Japan reisen darf.
„Die offizielle Olympia-Norm für die 400-Meter-Hürden liegt bei 48,90 Sekunden. Constantins Bestzeit steht derzeit bei 49,23 Sekunden. In den letzten drei Jahren haben wir uns jedes Jahr um rund eine Sekunde gesteigert. Ich bin überzeugt, wir hätten die Norm in diesem Jahr geschafft und werden es auch 2021 tun“, sagt der dreifache Familienvater Marcard, der im Hauptberuf bei Bosch als Controller tätig ist.
Auf Dauer wollen er und Preis, mit dem er seit 2017 ein Team bildet, bei den großen Wettkämpfen dann nicht nur mitlaufen, sondern angreifen. Auch um Erfahrungen auf höchster Ebene zu sammeln. „Bei der WM in Doha habe ich das Ziel Halbfinale verpasst. Ich war in meinem Vorlauf zu nervös. Auch weil ich noch nicht viele Wettkämpfe auf diesem Niveau mit dem ganzen Drumherum habe. Auch deshalb wäre eine Olympia-Teilnahme so wichtig“, sagt der Läufer vom VfL Sindelfingen, der an der Fernuniversität seinen Abschluss in Ernährungswissenschaften anstrebt.
Finanzielle Einbußen
Aber nicht nur rein sportlich sind regelmäßige Auftritte auf der Bahn für Constantin Preis wichtig. Auch finanziell wiegen die Wochen des sportlichen Stillstands schwer. „Ich habe zwar auch in den letzten Monaten vom VfL Sindelfingen eine Aufwandsentschädigung sowie Gelder von der Deutschen Sporthilfe und meinen regionalen Sponsoren bekommen, Laufprämien und Preisgelder sind aber nahezu komplett weggefallen“, sagt Preis, der seit Anfang des Jahres bei Adidas unter Vertrag steht. Was die finanziellen Einbußen für einen Leichtathletik-Profi wie Constantin Preis bedeuten, zeigt sein Trainer Sebastian Marcard auf. „Rund zehn Meetings konnte er Corona-bedingt nicht mitnehmen. Das sind Gelder im fünfstelligen Bereich, die ihm verloren gegangen sind“, sagt der VfL-Trainer, der an diesen Einnahmen in Form eines geregelten Satzes partizipiert.
Umso erleichterter sind Trainer und Schützling, dass es in den nächsten Wochen mit den geplanten Meetings in Luzern, Wetzlar und Regensburg wieder losgeht. Denn nur mit größerer Wettkampfhärte steigen die Chancen, auch ein weiteres großes gemeinsames Ziel zu erreichen. „Es wird Zeit, dass der seit Jahrzehnten bestehende deutsche Rekord von 47,48 Sekunden über die 400-Meter-Hürden von Harald Schmid fällt“, sagt Sebastian Marcard. Dafür ziehen er und Constantin Preis die vielen intensiven Trainingsstunden durch. Auch im Sindelfinger Dauerregen.
Grünes Licht für die Leichtathletik-DM:
Die Stadt Braunschweig hat grünes Licht für die Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften am 8. und 9. August gegeben. Das 45-seitige Durchführungs- und Hygiene-Konzept wurde positiv beurteilt. Zuschauer im Stadion sind wegen des deutschlandweiten Verbots für Großveranstaltungen bis 31. August nicht zugelassen. ARD und ZDF übertragen live.
Die frühere Weltklasse-Hürdensprinterin des VfL Sindelfingen und heutige Athletensprecherin Nadine Hildebrand: „Eine Deutsche Meisterschaft hat immer einen Stellenwert und ist dieses Jahr ein besonders herausfordernder und einzigartiger Wettkampf. Die Wiederaufnahme des geregelten Trainingsbetriebes wurde von allen Athleten mit großer Erleichterung aufgenommen. Nicht zu wissen, ob und wann es Wettkämpfe gibt ist hart. Hierfür trotzdem alles zu geben, ist eine große Herausforderung und bewundernswert.“⋌– weg –
Bild: Beim Regen-Training im Sindelfinger Floschenstadion für den Re-Start in der Leichtathletik: VfL-Athlet Constantin Preis (rechts) und sein Trainer Sebastian Marcard. Bild: Bilaniuk
Quelle: SZ/BZ-Online