Sportwelt: „Manche haben eine Woche Muskelkater“

Sportwelt: „Manche haben eine Woche Muskelkater“

Gesundheit: Defizite im Bewegungsapparat, Schwächen im Herz-Kreislauf-System, Druck auf der Psyche – auf der Trainingsfläche werden Spuren des Lockdowns und der Wert des Sports klar

Zwischen großer Freude und verhaltener Vorsicht bewegt sich die Rückkehr der Menschen in die Sportstudios. Dabei ist in den ersten Wochen nach dem Neustart deutlich geworden: Sieben Monate Lockdown haben deutliche Spuren hinterlassen. Sowohl körperlich, als auch geistig. Die Häuser machen möglich, was Verordnungen zulassen. Eine Sonderrolle nimmt dabei die Sportwelt des VfL Sindelfingen ein.

Die Sportwelt hatte sich bald als Erfolgsgeschichte entpuppt. 2018 schüttete der VfL Sindelfingen erstmals die Dividende aus: Weil die Kredite getilgt und die Einnahmen so gut waren, verteilte der Verein 100 000 Euro unter den 28 Abteilungen. Der An- und Ausbau war der logische nächste Schritt, eigentlich war von langer Hand die große Sause zur Einweihung geplant. Aber auch wenn das neue Haus längst fertig und auch die Beach-Anlage verlegt ist, macht die Pandemie einen Strich durch die Rechnung.

Immerhin: Es ging nach dem Lockdown auch hier wieder los. In der Rudolf-Harbig-Straße 8 gibt es durch den Anbau doppelt so viel Platz wie früher. Studioleiter Andreas Hagedorn: „Es sind so viele Sportler da wie sonst auch. Aber manchmal fühlt es sich fast schon leer an.“ Diejenigen, die zum Training kommen, merken spätestens danach, wie es ihr Körper vermisst hat. Andreas Hagedorn: „Manche haben eine Woche Muskelkater.“

In die Karten spielt, dass es auf dem Parkplatz vor dem Glaspalast eine Schnelltest-Station gibt, an der Sportwelt-Kunden schneller drankommen. Auf den Verkehrswegen bleibt die Maske auf, und auf den Trainingsflächen ist in der Klimaanlage ein Virenfilter eingebaut. „Die Menschen sind auch bei uns getestet, geimpft oder genesen. Trotzdem würde diese Anlage im Fall der Fälle 99,9 Prozent der Coronaviren beseitigen“, sagt Andreas Hagedorn.

Weil derweil die Inzidenzwerte stetig sinken, gibt es die Testpflicht vor dem Studiobesuch nicht einmal mehr in allen Bundesländern. In Bayern ist sie ganz weggefallen, Hessen spricht nur noch eine Empfehlung aus, Baden-Württemberg hält daran fest. Dazu komme, dass die durch den Lockdown besonders gebeutelten Betreiber sowieso alles dafür tun, um funktionierende Hygienekonzepte umzusetzen. Und: „Die Menschen achten viel mehr als früher auf Abstände“, sagt Andreas Hagedorn. Es sei offensichtlich, wie aufeinander Rücksicht genommen werde.

Mancher zweifelt

Und trotzdem. Es bleiben bei manchen Zweifel, ob sie unters Dach zurück an die Geräte sollen. Andreas Hagedorn: „Das kann ich auch nachvollziehen. Die Menschen wurden stark sensibilisiert, vielleicht auch übersensibilisiert.“ Vorsicht machte sich breit, Verunsicherung, manchmal auch Angst. Auch deshalb traten die Sportweltmitarbeiter in den ersten Wochen seit der Neueröffnung in fast voller Mannschaftsstärke an, um sich um die Rückkehrer in den Trainingsbetrieb zu kümmern. Freilich aber auch, um die neue Sportwelt zu erklären, die so einiges zu bieten hat, was vorher nicht da war. Mehr Platz, mehr Räume, neue Geräte, mehr und neue Umkleiden oder die Infrarotkabine zum Beispiel.

Wie sehr die Mitglieder teilweise auf die Rückkehr brannten, zeigt sich vor allem bei den Kleinsten und den Eltern-Kind-Angeboten. Die beiden Kurse „Babys in Bewegung“ waren ruckzuck voll, Spartenleiter Benjamin Wunsch bietet jetzt sogar einen dritten Kurs an, der auch schon überbucht ist. „Auch bei den anderen Eltern-Kind-Kursen von eins bis fünf Jahren steht das Telefon nicht still“, sagt Benjamin Wunsch, „da hat sich eine Menge aufgestaut. Kinder und Eltern müssen einfach raus und wollen etwas tun. Deshalb nutzen sie qualitativ hochwertige Angebote.“

Grundsätzlich zahle sich auch beim Run auf den Kindersport der Anbau der Sportwelt aus. Benjamin Wunsch: „Wir haben in Absprache mit den Reha-Kursen genügend Platz und müssen uns nicht mit den Schulen kurzschließen, um städtische Hallen zu nutzen.“ Dass es die letzten Kurse im Oktober gegeben hatte, zeige deutlich Wirkung. Kinder, die vorher eine komplette Einheit durchgerannt sind, brauchen jetzt nach fünf Minuten eine Pause.

Defizite in allen Bereichen

Defizite haben aber nicht nur die Kinder. Im Schnitt haben die Menschen zugenommen, Studien sprechen von mehreren Kilos. Gleichzeitig ging Muskelmasse verloren, ebenso Beweglichkeit, Ausdauer, Haltung oder Koordination. Der Bewegungsapparat ist genauso betroffen wie das Herz-Kreislauf-System. Andreas Hagedorn: „Viele konnten sich zuhause – aus welchen Gründen auch immer – nicht aufraffen, selbstständig Sport zu treiben.“

Willy Braun gehört nicht dazu. Regelmäßige Gymnastik gehört für ihn dazu. „Ich habe daheim immer etwas gemacht“, sagt er. Der 87-Jährige hat den Sport zwar eher spät für sich entdeckt, ist aber seitdem immer am Ball geblieben. Das Alter merkt man ihm deshalb überhaupt nicht an. Trotzdem ist er froh, dass er jetzt endlich wieder in die Sportwelt kommen kann. Einmal die Woche, so kommt er unter die Leute.

Auch das sei ein entscheidender Faktor. „Vor allem für Menschen, die alleine leben. Diese hat die Pandemie psychisch zum Teil hart getroffen, manchen merkt man das deutlich an. Sie wurden von der Gesellschaft geradezu vergessen“, sagt Andreas Hagedorn. Auch hier wirke der der Sport Wunder. „Es befreit eben, sich ein bisschen auszupowern und Kontakt zu haben. Dann komme ich abends alleine auch ganz anders klar. Manche brauchen das einfach.“

Bild: Willy Braun, 87 Jahre und durch regelmäßigem Sport fit wie ein Turnschuh. Bild: Wegner
Quelle: SZ/BZ-Online