Leichtathletik: Sindelfingen: 100 Jahre höher, schneller und weiter

Die VfL-Leichtathleten feiern am Samstagabend im Glaspalast ein Jahrhundert voller Rekorde und Glanzlichter

Leichtathletik – Lobeshymnen gibt es schon vor der Jubiläumsfeier zuhauf. Jürgen Kessing, Präsident des Deutschen Leichtathletikverbands, unterstreicht nicht nur die sportlichen Leistungen aus den Reihen des VfL Sindelfingen, sondern auch den Standort Sindelfingen selbst als „Mekka der Leichtathletik“. Jürgen Scholz bezeichnet den Verein in seiner Rolle als Präsident des Württembergischen Leichtathletik-Verbands als „Eckpfeiler der Leichtathletik“. Sindelfingens Oberbürgermeister Dr. Bernd Vöhringer drückt „Respekt und Bewunderung“ aus. Und VfL-Präsident Dr. Heinrich Reidelbach sagt: „Der VfL ist stolz auf seine Leichtathleten.“

Diese feiern am Samstagabend ihr 100-jähriges Jubiläum. Die Pandemie hatte es im eigentlichen Jubeljahr nicht zugelassen, so zündet der Glaspalast mit einem Jahr Verspätung Glanzlichter an. Davon gibt es jede Menge, wobei der Abteilungsleiter Jürgen Kohler sagt: „Wir sind ein starkes, dynamisches Team. Sowohl auf sportlicher Ebene vom Breitensport bis in die Weltspitze, als auch als erfahrener Veranstalter von hochrangigen Wettkämpfe. Was uns besonders auszeichnet, ist die familiäre Kultur.“

Zahlen, die das unterstreichen: Im Floschenstadion gab es von 1955 bis heute 52 Veranstaltungen, davon sechs Deutsche Meisterschaften für Junioren und Staffeln. Der Glaspalast war Austragungsort für die Europameisterschaft 1980, die Senioren-WM 2000, 24 Internationale Hallensportfeste (IHS) und 128 Meisterschaften von den Württembergischen bis zu den Deutschen.

Weltrekorde beim IHS

Apropos IHS: 24 Jahre lang war das vom verstorbenen Herbert Bohr initiierte Sportfest in Sindelfingen ein Fixpunkt im ZDF-Sportstudio, das über den Fabelweltrekord von Colin Jackson bei dessen perfektem Hürdensprint berichtete. Seine 7,30 Sekunden sollten 27 Jahre lang unangetastet bleiben. Oder über den von Thomas Schönlebe: 45,05 Sekunden üer 400 Meter in der Halle, das gab es noch nie. Oder über Sergej Bubka. Die Legende schlechthin der Stabhochspringer war 1990 eigentlich gar nicht eingeladen und klopfte quasi selbst an die Tür, um dann die Massen zu verzaubern. Es gibt genügend Geschichten für dicke Sportbücher.

Sieben schnelle Athletinnen des VfL vertraten bei Olympischen Spielen die deutschen Farben: Ulrike Sárvári, Andrea Thomas, Birgit Hamann, Stephanie Kampf, Nadine Hildebrand, Carolina Krafzik und nicht zuletzt Heidi-Elke Gaugel, die als eigentliche 100-Meter-Spezialistin in Los Angeles alle überraschte und in der Rundenstaffel startete Bronze mit nach Sindelfingen brachte. Dazu kommen die Männer, allen voran Jörg Vaihinger, der gleich dreimal dabei war: in Los Angeles, Seoul und Barcelona, dabei in Südkorea sogar Bronze mit der deutschen Staffel über die 400 Meter holte.

Boykott 1980 kostet Olympia-Medaille

In Los Angeles lief Vaihinger unter anderem mit einem weiteren Sindelfinger: Martin Weppler, der vier Jahre zuvor auch Teil einer deutschen Mannschaft war, die als Favorit in Moskau angetreten wäre. Der Boykott 1980 nahm ihm alle Medaillenchancen. Constantin Preis stürmte zuletzt in Tokio bis ins Halbfinale. Dazu die schweren Jungs von Tokio: Kugelstoßer Tobias Dahm und bei den Paralympischen Spielen sein Trainingskamerad und Kumpel Niko Kappel. Unvergessen dessen Goldnacht unterm Zuckerhut, die seinen Sport ins Rampenlicht hievte – inklusive Fernseh-Talkrunde mit Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Weltrekord der VfL-Frauen

Das alles steht nur an der Spitze einer Abteilung, die 111 Deutsche Meistertitel fabrizierte und weitere Schlagzeilen schrieben. Zum Beispiel den vom Weltrekord der Hallen-Frauenstaffel über die 200 Meter im Jahr 1986 in der Besetzung Andrea Bersch, Ulrike Sárvári, Birgit Wolf und Heidi-Elke Gaugel. 1:33,56 Minuten, das hatte auf dem Globus noch kein Frauenquartett geschafft.

Möglich machen all das Talentjäger und Meistermacher wie Werner Späth, Joachim Thomas, Sebastian Marcard, Peter Salzer, Peter Wiesner, Helmut Walentin, Stephanie Kampf oder der verstorbene Harald Olbrich, die dafür exemplarisch stehen. Oder auch Macher wie Dieter Locher, die die Großfamilie unter einen Hut bekommen, damit alle bei Veranstaltungen an einem, Strang ziehen. Und Menschen wie Brigit Hamann, deren Speedy-Schule seit dem Jahr 2000 um die 1500 Kinder durchliefen. Die „gesunde Mischung aus Jugend- und Spitzensport und den familiären Zusammenhalt“, möchte Jürgen Kohler stabil hjalten.

Meilensteine:

  • 1920: Aus dem Turnverein, dem Turnerbund und der Freien Turnerschaft heraus gründet sich eine Leichtathetik-Abteilung.
  • 1928: Die Nazis lösen die Sparte auf.
  • 1933: Im Gasthaus „Im Löwen“ gründet der Turnverein eine selbstständige Abteilung.
  • 1944: Im Lauf der letzten Kriegsjahre erlischt jeglicher Sportbetrieb.
  • 1945: Alle Vereine werden aufgelöst.
  • 1945: Am 20. Oktober ist die Gründungsversammlung des VfL Sindelfingen im „Schwarzen Adler“.
  • 1946: Start für die Leichtathletik-Abteilung.
  • 1954: Die US-Amerikaner stampfen das Floschenstadion an der Rosenstraße aus dem Boden. Am 7. August startet zur Einweihung am Rathaus der Festzug.
  • 1972: Das Floschenstadion ist renoviert, bekommt eine Tribüne für 850 Zuschauer.
  • 1977: Mit den Landesmeisterschaften wird am 17. Februar der Glaspalast eingeweiht. Zwei Wochen später folgen die ersten Deutschen Meisterschaften.
  • 1979: Herbert Bohr organisiert das erste Internationale Hallensportfest (IHS) im Glaspalast, das 24 Jahre lang die Blicke der Fachwelt nach Sindelfingen zieht.
  • 1980: Hallen-EM im Glaspalast.
  • 2000: Birgit Hamann gründet die Talentschmiede „Speedy“.
  • 2000: Senioren-WM im Glaspalast.

Die Abteilungsleiter:

  • 1920 bis 1928: Wilhelm Bernritter
  • 1928 bis 1933: Eugen Stolz
  • 1933 bis 1936: Hermann Dipper
  • 1936 bis 1940: Otto Leonhardt
  • 1940 bis 1943: Wilhelm Sautter
  • 1946 bis 1947: Eugen Stolz
  • 1947 bis 1949: Oskar Reuff
  • 1949 bis 1953: Otto Leber
  • 1953 bis 1959: Fritz Kratschmann
  • 1959 bis 1961: Erich Aich
  • 1961 bis 1962: Eberhard Dengler
  • 1962 bis 1990: Otto Welker
  • 1990 bis 2005: Dieter Gauger
  • 2005 bis 2017: Markus Graßmann
  • ab 2017: Jürgen Kohler

Bild: Andrea Bersch, Ulrike Sárvári, Birgit Wolf und Heidi-Elke Gaugel bejubeln 1986 ihren Weltrekord über 4×200 Meter im Glaspalast (von links).Bild: VfL-Leichtathletik-Archiv

Quelle: SZ/BZ-Online