Erfolgreicher Protest der Vereine
Dieses Gespenst ist vorerst vertrieben, besiegt ist es deshalb noch nicht. Nachdem 88 Vereine aus Württemberg kurz vor Weihnachten einen Brandbrief an den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann geschrieben hatten, um verschärfte Corona-Regeln für Jugendliche im Sportverein abzuwenden, gilt jetzt doch bis über den 31. Januar hinaus: Der Schülerausweis reicht als Ticket für den Zutritt zum Vereinstraining und zum Wettkampf.
Sportpolitik. Das hatte die Landesregierung ursprünglich ändern wollen, da es deren Ansicht nach seit August genug Zeit gegeben habe, auch 12 bis 17-Jährige zu impfen. Der Plan war, die Regelung zum 1. Februar auslaufen zu lassen, dass für den Unterricht bereits negativ getestet Kinder ohne weitere Testung zum Handball, Fußball oder Schwimmen gehen dürfen, so lange wie jetzt in der aktuellen Alarmstufe 2G oder 2GPlus gilt (die SZ/BZ berichtete).
Der Aufschrei war riesig. Zwei Tage, nachdem es die entsprechende Ankündigung gab, setzten sich Verantwortliche von 15 württembergischen Großvereinen virtuell zusammen. Nach dem Meeting verfassten Harald Link als Vereinsmanager der SV Böblingen, Timo Petersen als Geschäftsführer des VfL Herrenberg und der Geschäftsführer der MTG Wangen, Andreas Schröder-Quist den Brief an Winfried Kretschmann mit der nachdrücklichen Bitte, die bisherigen Regeln für Jugendliche weiter beizubehalten. Zwei Tage später ging das Schreiben raus. 88 Vereine hatten ihn unterschrieben.
Unrealistischer Zeitplan
Schon den Zeitplan bezeichneten sie als komplett unrealistisch, denn ein flächendeckendes Impfen sei schon aus rein logistischen Gründen innerhalb von sechs Wochen nicht möglich. Kurz vor Weihnachten waren gerade einmal 49 Prozent der Jugendlichen im Land grundimmunisiert. Anderthalb Monate später am Freitagabend waren es 59,6 Prozent. Weitere Zahlen: Laut statistischem Landesamt in Baden-Württemberg lebten zum Jaheswechsel 625 000 Jugendliche von 12 bis 17 in Baden-Württemberg, zwei Drittel davon, also knapp 420 000, sind in Vereinen verschiedenster Arten organisiert. Das Ziel wäre nicht zu halten selbst wenn, auch noch alle Eltern grünes Licht gegeben hätten, was ebenfalls an der Realität vorbei geht.
Große Sorgen
Die Sorgen in den Vereinen waren riesig, sollte die Regel tatsächlich kippen und alles noch komplizierter werden. Zum einen rein struktureller Natur, denn gehen Mannschaften die Spieler aus, kommen Angebote auf den Prüfstand. Dazu gibt es den Mehrwert des Sports für jedes einzelne Kind. Sei es aus körperlichen, sozialen oder psychischen Gründen. Was den Vereinsfunktionären nicht einleuchten wollte, war die Vorstellung, dass Jugendliche morgens gemeinsam die Schulbank drücken, in der Pause über den Hof jagen und Sporttreiben dürfen, aber abends im Verein getrennt werden.
Der Brief zeigte jetzt Wirkung: „Herr Kretschmann hat mich als die im Kultusministerium zuständige Abteilungsleiterin gebeten, Ihnen direkt zu Antworten“, schreibt Dörte Conradi als Leiterin der Abteilung „Schulorganisation, schulartübergreifende Bildungsaufgaben, Sport“ in der Mail an Harald Link, Timo und Andreas Schröder-Quist, die der SZ/BZ vorliegt. Und weiter: „Die Landesregierung verlängert die Regelung, dass Schülerausweise auch als Testausweise gelten, über den 1. Februar hinaus. Auch nichtgeimpfte Jugendliche haben damit im Februar die Möglichkeit, ohne weitere Testung Zutritt zu Bereichen zu bekommen, in denen 3G, 2G oder 2GPlaus gilt. Mittelfristig werden die Ausnahmen für die über zwölfjährigen Schüler aber in Ihrem jetzigen Umfang auslaufen, und nur die Impfung wird in der Zukunft sicher eine Teilhabe ermöglichen.“
„Zwischenziel erreicht. Aber der Wunsch nach langfristiger Planungssicherheit bleibt unerfüllt“
Anne Köhler, stellvertretende Geschäftsführerin des VfL Sindelfingen sagt dazu: „Zwischenziel erreicht. Aber der Wunsch nach langfristiger Planungssicherheit bleibt unerfüllt.“ Vor allem das Wort „mittelfristig“ liegt ihr schwer im Magen. Der SWR nannte beispielsweise bereits den 1. März als Ablaufdatum. Harald Link: „Mich hat die Reaktion sehr gefreut, dafür habe ich mich auch in einer Mail bei Dörte Conradi bedankt. Das gibt uns Handlungsmöglichkeiten. Aber wir haben auch die dringende Bitte, dass Änderungen, wenn sie denn wirklich kommen, im Dialog mit dem Sport entstehen.“
Auf Nachfrage der SZ/BZ kommt die Antwort aus dem Kultusministerium prompt: Der genaue Zeitpunkt für das Auslaufen der Ausnahmen für Jugendliche steht noch nicht fest, allein schon, weil sichere Vorhersagen in einer dynamischen Pandemie, wie wir sie mit bei Corona haben, nicht möglich sind. Daher kann ich Ihnen auch hier nur mittelfristig nennen“, so Pressesprecher Fabian Schmidt. Der 1. März ist somit als Deadline vom Tisch.
„Lösungsmöglichkeiten, die sich beispielsweise nach Altersgruppen richten“
Und wie geht es weiter? Fabian Schmidt: „Auf die Entscheidungen haben dabei stets mehrere Faktoren Einfluss. Das Infektionsgeschehen, die Impfungen, die besonderen Bedingungen bei bestimmten Bevölkerungsgruppen, um ein paar Beispiele zu nennen. Hinzu kommen in diesem Zusammenhang der künftigen Schülerausweisregelung auch Lösungsmöglichkeiten, die sich beispielsweise nach Altersgruppen richten.“ Wir bedenken diverse Parameter, tauschen uns mit den Fachleuten aus und haben vor allem immer die Kinder und Jugendlichen samt deren Eltern sowie Lehrkräfte und Erzieher im Blick.“
Harald Link hält da keine Gegenrede: „Wenn uns allen die Zahlen um die Ohren fliegen und die Hospitalisierungsrate durch die Decke schießt, wird sich der Sport sicher nicht hinstellen und sagen ‚wir wollen aber‘. Sollte 2G oder 2Gplus in der Schule nötig sein, dann gehen wir mit. Aber wir streben eine Gleichbehandlung mit den Schulen an. Wir sind und bleiben vorsichtig mit unseren Hygienekonzepten, aber wir dürfen den Jugendlichen die Bewegung im Sport und im Verein nicht nehmen.“
Die Liste der Vereine wächst
Die Liste der Vereine, die hinter dem offenen Brief stehen, wächst seit Veröffentlichung stetig und hat die 100er-Marke längst geknackt. Erst diese Woche schlug bei Harald Link eine Mail aus Eschental im Hohenlohekreis am nordöstlichen Zipfel Baden-Württembergs auf mit der Bitte, am Thema dran zu bleiben.
Bild: Schule aus, rein in die Sportklamotten, so wie hier bei einem Fußballcamp in Ehningen. Dafür reicht weiterhin der Schülerausweis. Denn getest sind die Jugendlichen schon morgens für den Schul-Unterricht.Bild: Nüssle/A
Quelle: SZ/BZ-Online