Der Sindelfinger stößt die Kugel 20,51 Meter weit
Es war ein Krimi, der da am Freitag im Ulmer Donaustadion in mehreren Akten stattfand und immer noch läuft. Mittendrin: Tizian Lauria, eines der größten Sindelfinger Nachwuchstalente der letzten Jahre, und aktuell bester Kugelstoßer der Welt.
Leichtathletik. National hat es der 19-Jährige zwar mit erheblicher Konkurrenz zu tun, spätestens in den letzten Wettkämpfen aber machte Lauria klar, dass an ihm kein Vorbeikommen ist.
Konstant meisterte er mit der 6-Kilogramm-Kugel die 20-Meter-Marke. Mitte Juni stellte er mit einem Stoß auf 21.15 Meter, die neue Weltjahresbestleistung der U20 alle in den Schatten. Sogar bei den Erwachsenen mischt der Sindelfinger schon kräftig mit. Bei den Deutschen Meisterschaften vor dem Brandenburger Tor wuchtete er die schwerere Kugel auf 18,54 Meter und sicherte sich Platz acht. Der Weg schien frei für den ersten Einsatz im Nationaltrikot. Die Norm für die U20-Weltmeisterschaften in Cali (Kolumbien) hat Tizian Lauria um fast drei Meter übertroffen.
Doch allen grandiosen Vorleistungen zum Trotz: Auch der weltbeste Kugelstoßer muss sich den Qualifizierungsbedingungen seines Verbandes beugen. Und die haben es in sich. Nur wer mit erfüllter Norm bei den Deutschen Jugendmeisterschaften in Ulm auf Platz eins oder zwei landet, fliegt nach Cali. Entsprechend fand am vergangenen Freitag der Showdown für die Kugelstoßer statt. Perfekt auf seinen Wettkampf vorbereitet, hatte Tizian Lauria aber noch einen Pflichttermin zu überstehen. Der 19-Jährige wurde am 15. Juli als Mitglied der Sportfördergruppe der Polizei eingestellt, nun beginnt er sein Studium bei der Polizei.
Von dort aus ging es mit dem Auto direkt nach Ulm und das Unglück nahm seinen Lauf. Ein langer Stau sorgte für Stillstand bei Lauria und seinem mitgereisten Betreuer Tobias Dahm. Nichts ging mehr und die Zeiger der Uhr rückten unerbittlich nach vorne. Irgendwann versuchte sich Tizian Lauria, schon in voller Wettkampfmontur, auf dem Standstreifen warmzulaufen , um sich zumindest irgendwie auf den wichtigsten Wettkampf seiner Karriere einzustimmen.
Doch als das Duo nach mehrstündiger Tortur die letzten Kilometer ins Ulmer Stadion vorrollte, war die festgeschriebene Zeit, zu der die Athleten sich im Callroom einzufinden haben, schon verstrichen. Die Regularien sehen in einem solchen Fall den Ausschluss des Athleten vor. Lauria, 15 entscheidende Minuten zu spät, startete außer Wertung und mit nur einem einzigen Versuch zum Einstoßen in den Wettkampf.
Mit Nerven wie Drahlseilen gelang es dem 19-Jährigen sich trotzdem voll zu fokussieren. Und schon der erste Stoß saß. Die Kugel flog auf 20,51 Meter, eigentlich die deutliche Führung für den Sindelfinger, außerhalb der Wertung aber nur eine Randnotiz. Den kompletten Wettkampf über kam keiner der besten jugendlichen Stoßer Deutschlands an Laurias Weite heran. Mit einem deutlichen Vorsprung trotz der widrigen Umstände deklassierte er seine Konkurrenz.
Die Goldmedaille und die weiteren Podiumsplätze wurden aber, trotz Sindelfinger Einspruch, nicht an den besten Athleten des Tages sondern an die unterlegenen Rivalen vergeben. „Es war ein mieses Wochenende, ohne Warmzumachen und ohne richtige Vorbereitung auf den Wettkampf trotzdem mit einem Sicherheitsstoß 20,51 Meter zu stoßen finde ich eine starke Leistung von mir“, sagt Lauria.
Für die harte Entscheidung hat er Verständnis, sagt aber auch: „Ich bin natürlich sehr enttäuscht, wie das ganze gelaufen ist, kann aber beide Seiten verstehen. Regeln sind Regeln und wenn man zu spät im Callroom ist wird man normalerweise disqualifiziert. Aber es geht einfach um eine WM-Quali und ich stand in einer Vollsperrung, wir konnten uns keinen Zentimeter bewegen, dafür kann ich persönlich nichts.“ Aber weil die Platzierung bei den Deutschen Meisterschaften für die U20-Weltmeisterschaftsqualifizierung so entscheidend ist, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die staubedingte 15-minütige Verspätung den weltbesten Kugelstoßer auch die WM-Teilnahme kosten wird.
„Die Nominierung steht noch nicht fest, aber zu 99 Prozent ist es gegessen mit Cali. Das eine Prozent läßt mich ganz ganz wenig hoffen. Ich bekomme bald Bescheid ob ich es geschafft habe oder nicht“, sagt Lauria, der nicht mehr mit einem Umschwenken rechnet. Auch die Funktionäre des VfL Sindelfingen sind entsetzt, die drohende Entscheidung wird als sehr ungerecht empfunden. „Man beruft sich voll auf die Paragraphen, anstatt sich auch mit der menschlichen Komponente auseinander zu setzen. Was tut man so einem jungen Athleten an, der alles für seinen Sport macht und dem dann wegen ein paar Minuten Verspätung am Callroom sein Weg zum Ziel versperrt wird“, sagt Geschäftsführerin Barbara Erath. VfL-Sportwart Jan Erik Gans reagiert emotional: „Was für ein Krimi. Da kann man schon manchmal an den Regeln unseres Sports verzweifeln, das kommt auch mir einfach unfair vor.“
Bild: Tizieam Lauria war bei dem einen Versuch in Ulm eine Klasse für sih. Zur WM darf der 19-Jährige aber dennoch nicht. Bild: Schüttke
Quelle: SZ/BZ-Online