So lief das Sindelfinger Turnier
Die Massen strömen nach Sindelfingen, der Bezahlsender DAZN bringt die Spiele live in die Wohnzimmer, mit Martin Schindler sorgt ein deutscher Spieler für Furore, zwischenzeitlich gibt es einen Fehlalarm und Rob Cross gelingt die Final-Revanche gegen Luke Humphries.
Darts. Erst wackelt die Mauer, dann bebt der Glaspalast. Martin „The Wall“ Schindler verfehlt die Doppel-Sieben um etwa anderthalb Millimeter. Der zweite Versuch landet im Glück. Der Mann, der am Tag zuvor mit dem deutschen Riesen Gabriel Clemens den eigentlichen Liebling der Massen aus dem Turnier gekegelt hat, wirft den absoluten Top-Favoriten raus: Gerwyn Price muss einpacken, und der European Darts Grand Prix hat seine erste sportliche Sternstunde. Noch auf der Bühne sagt der Brandenburger: „Ich hätte nie damit gerechnet, habe mich reingebissen und bin überglücklich.“
Für einen deutschen Sieg reicht es in Sindelfingens Sporttempel am Ende nicht, auch wenn es an Rückhalt sicher nicht fehlt. Immer wenn Martin Schindler, Gabriel Clemens oder Pascal Rupprecht an die Scheibe treten, rastet die Menge aus. Manchmal geht die Unterstützung auch über die Grenzen des Fairplay hinaus. Dass ein Gegner ausgepfiffen wird, will irgendwie nicht zum sonstigen Rahmen passen. Dieser kann sich wahrlich sehen lassen.
Die Abendsessions kratzen an der 3700-Zuschauer-Volllast, insgesamt sind zwischen 15000 und 16000 Darts-Fans in der Halle. Die DAZN-TV-Übertragung klappt, nur einmal laufen die Geräte heiß, weil die Sonne viel stärker auf die Ausrüstung brutzelt als geplant. Aber das ist schnell behoben. Und die Fans sind sowieso eine Nummer für sich. Wobei der absolute Löwenanteil zum Teil weite Anreisen auf sich nimmt, in Hotels oder im Wohnmobil übernachtet oder zumindest die S-Bahn bevölkert, die am Maichinger Bahnhof stoßweise seltsame Männchen ausspuckt.
Bierfass, Nonnen, Teletubbies
Space-Shuttle, Bierfass, wie immer die Teletubbies, alles ist dabei. Am Sonntag in der Nachmittagssession sieht eine elfköpfige Nonnengruppe besonders putzig aus. Amelie Kloos und Markus Klein waren selbst schon einmal im legendären Alexandra Palace in London und haben ihre Tübinger Freunde überzeugt, dass Sindelfingen eine klasse Sache sein muss. Aber auch wenn „stimmungsmäßig schon noch Luft nach oben im Vergleich zum Ally Pally ist“ und drei der Nonnen Kraft und Glauben verlieren, überredet Patrick Raumann den Rest, einfach auch noch die Abendsession dranzuhängen. Ein paar wenige Karten gibt es da noch. Für sie ist es genauso klar wie für eine Gruppe laufender Verkehrshütchen aus Heimsheim: „Martin Schindler macht das heute.“ Das sagt zumindest Dennis Drodofsky, der die acht Kumpels klargemacht hat.
Derweil sind Lokalmatadoren im Publikum für ein Sindelfinger Event eher dünn gesät. Die Handballer der HSG Böblingen/Sindelfingen kommen als Zwergenbande daher. Und die Ü30-Tennismänner aus Magstadt haben mit Marc Fischer einen in den Reihen, der ziemlich gut weiß, worauf es beim Pfeilewerfen ankommt und gleich mehrere Sessions mitnimmt. Seit 13 Jahren ist er Fan und auch Spieler, der hier und da an Turnieren teilnimmt: „Das halt eher semiprofessionell, gerne auch mit Freunden, aber Darts macht einfach eine riesen Spaß. So, wie heute auch. Die Stimmung ist sensationell.“
Im Viertelfinale fällt die Mauer aus Brandenburg dann aber doch. Erst spielt Martin Schindler einen fabelhaften Durchschnitt jenseits der 111-Punkte-Marke, doch am Ende reichte es nicht. Das 5:6 gegen den Australier Damon Heta bedeuten das Aus. Die Party geht trotzdem weiter. Sindelfingen ist eine riesen Nummer in der Szene, veranstaltet seit 2014 Grand Prix. Nur zuletzt musste das Turnier nach Stuttgart verlegt werden, weil die Halle zwischenzeitlich zum Flüchtlingslager wurde. Bis auf Michael van Gerwen und Michael „Bull Boy“ Smith, die sich bereits in New York auf die US Darts Masters im Madison Square Garden vorbereiten, ist die Weltklasse geschlossen am Start.
Starke Arbeit am Limit
Klasse ist auch, was der Glaspalast-Verein leistet, obwohl die Mannschaft ziemlich am Limit ist. Vier Hauptamtliche um die beiden Geschäftsführer Claus Regelmann und Uwe Dieterich wuppen zusammen mir drei Aushilfen das komplette Eventjahr. Für Privates wie Uwe Dieterichs 60. Geburtstag am Donnerstag gilt es, Zeit aus den Rippen zu schneiden. Und auch das Gebäude ist längst reif für eine neue Infrastruktur.
„Gut, dass wir draußen die Toilettencontainer haben“, sagt Claus Regelmann, der diese gerne den Rest des Jahre gerne dabehalten würde. Gut auch, dass es den Glasfaseranschluss schon gibt, „ohne den wir das Darts-Turnier oder Junior Cup längst verloren hätten“, so Regelmann. Und gut auch, dass der Vertrag mit den Stadtwerken geschlossen ist und der Fernwärme-Anschluss vorgezogen wird. Denn der zweite Teil der großen Sanierung mit rund sieben Millionen Euro steht in Sindelfingen erst in den Jahren ab 2028 im Haushalt.
An Arbeit mangelt es nicht. Wie viele Hektoliter Bier am Wochenende fließen, ist noch nicht klar, aber in der Spülstraße werden Becher am laufenden Band wieder sauber. Und dann zieht von der Küche auch noch Dampf in den Nebenraum, der am Samstagmittag den Brandalarm auslöst, weshalb die Feuerwehr anrückt. Auch wenn die Hausherren wissen, dass hier nichts brennt: Diesen zusätzlichen Stress braucht niemand.
Die Party geht bis in den späten Sonntag-Abend. Dann versenkt Rob Cross den entscheidenden Pfeil zum 8:6-Sieg gegen Luke Humphries: „Ich bin so glücklich, das gewonnen und diesen Fluch besiegt zu haben. Das war alles, wonach ich in denn letzten Jahren gestrebt habe“, sagte er noch auf der Bühne nach der Endspielrevanche aus dem Vorjahr. Er liefert die Antwort auf die Frage, wer die englische Nummer zwei hinter Michael Smith ist. Damit ist Cross auch sicher beim World Cup dabei. Und gut für die Nonnen, Zwerge und Verkehrshütchen, dass die meisten von ihnen nach dieser riesen Party am Pfingstmontag ausschlafen dürfen.
Bild: Rob Cross am Ziel: Der Engländer gewinnt den European Darts Grand Prix im Glaspalast. Bild: Dettenmeyer
Quelle: SZ/BZ-Online