Hauptverein: Der Architekt des modernen VfL Sindelfingen

Der letzte Arbeitstag für Harry Kibele

Nach 35 Jahren Einsatz für die Blau-Weißen räumt der Geschäftsführer jetzt seinen Schreibtisch in der Sportwelt.

Ob es wirklich so locker-leicht kommt, wie es sich Harry Kibele vorstellt? „Ich werde morgens ins Büro gehen, meine letzten Mails schreiben, die letzten Daten übergeben und dann ganz zufrieden nach Hause fahren.“ So stellt er sich den professionellen Abschied vom VfL Sindelfingen vor. So ganz ohne Träne im Knopfloch, aber im Bewusstsein, sich voller Leidenschaft 35 Jahre lang für den VfL ins Zeug gelegt zu haben.

An Letzterem kann keiner zweifeln. Aber gerade deshalb wird es sicher am Mittwoch am letzten Arbeitstag und am Donnerstag bei der Verabschiedung an der einen oder anderen Stelle doch das Zitterstimmchen geben. Einen Sportverein streift man nicht ab wie einen Trainingssocken. Vor allem, wenn man ihn über so viele Jahre hinweg so geprägt hat wie der langjährige VfL-Sportmanager und heutige Geschäftsführer.

Träume blühen in der Rose

Los ging alles in der kultigen Studentenkneipe Rose in Lustnau. Die Sportstudenten haben nur einen kurzen Weg vom Tübinger Institut rüber, die beiden Kommilitonen Michael und Martin Breuning machen Lust auf den Job als Übungsleiter beim VfL Sindelfingen. Zu der Zeit ist dort Werner Eitel Geschäftsführer. Für 20 Mark die Stunde, es ist kein schlechtes Geld, heuert Harry Kibele an und übernimmt die Männergymnastik im Königsknoll.

Es scheint noch nicht der ganz große Wurf, aber es ist der Beginn einer großen Liebe. Und die Zeiten sind nicht leicht auf dem Arbeitsmarkt bei der damaligen Lehrerschwemme. Auch nach dem Referendariat in Herrenberg und Nagold in den Fächern Bio und Sport und einer kurzen Lehrerzeit in Rottenburg stellt sich die Zukunftsfrage. Da, wo heute die Sportwelt steht und früher die VfL-Geschäftsstelle gegenüber der Vereinsheim-Toilette ihr Büro hatte, sollte die Antwort liegen – weil Werner Eitel nach einer guten Idee für die Vereinsmitglieder sucht. Der VfL sollte sich weiterentwickeln. „Ich weiß genau, im Gesundheitsbereich wird etwas kommen“, sagt Harry Kibele.

„Können Sie das?“

Was er genau vorhat, erklärt er dem VfL-Präsidenten Karl-Heinz Reinheimer in dessen Büro in der Ziegelstraße und zieht dafür die gute Stoffhose an. „Das ist gut. Aber können Sie das?“, fragt dieser. „Ja, das habe ich gelernt, das ist mein Beruf“, sagt Harry Kibele. Als Ellen Bonhage, die Mutter von Andreas Bonhage aus dem heutigen Vorstand, wissen will: „Und was wollen Sie mit uns allen machen?“, nimmt die Geschichte ihren Lauf.

Am 1. Februar 1989 steigt Harry Kibele ein als Freizeit- und Gesundheitssportreferent beim VfL Sindelfingen. Sein Credo bleibt bis heute: „Ich möchte Menschen zum Sport bringen.“ Die Vorgabe: Das von ihm vorgeschlagene und dann auch umgesetzte Konzept soll seine Stelle gefälligst auch finanzieren. Nach einem halben Jahr ist das Geld drin. Und die Spirale dreht sich immer schneller.

Auf den Gängen und am Schreibtisch kreuzen sich ab da die Wege und Gedanken mit dem späteren Geschäftsführer Roland Medinger, der in etwa zur gleichen Zeit als Jugendreferent einsteigt. In den entscheidenden Punkten zieht das Duo immer an einem Strang, was dem Verein ungemein guttut. Gemeinsam schließen sie auch den ersten Lehrgang des DOSB zum Sportmanager ab.

Erst Sportpark, dann Sportwelt

Apropos „Gut.“ Oder besser: „G.U.T.“ In voller Länge nennt sich das Aktionsprogramm, „gesund und trainiert“. Harry Kibele arbeitet dara, wie Vereine auf niederschwelligem Niveau gesunden Sport anbieten können. Das Projekt läuft in Kooperation mit dem Landessportbund und der Techniker-Krankenkasse. Es ist bald im wahrsten Wortsinn ausgezeichnet: Die GEK-Krankenkasse und der Schwäbische Turnerbund zeichnen den VfL als innovativsten Verein aus. Das erste flächendeckende Präventionsprogramm in Württemberg und später in ganz Baden-Württemberg schreibt Schlagzeilen. Für das Gesamtkonzept im Breitensport gab es deshalb 1994 die Fritz-Wildung-Plakette der Bundesrepublik Deutschland.

Das Kurssystem dreht sich immer schneller, aber wohin geht die Reise? Karl-Heinz Reinheimer stellt die nächste Frage: „Und was kommt jetzt?“ Dass die SV Böblingen schon Anfang der 90er ihr eigenes Studio auf dem Schlossberg hat, gefällt den Sindelfingern gar nicht. Ein Grundkonzept für den Sportpark liegt bald in der Schublade, aber weder das erste Stockwerk im Domo, noch die Gaststätte im Floschenstadion scheinen geeignet.

Als es sich im Sindelfinger Gemeinderat andeutet, dass in der Gartenstraßenturnhalle doch keine Kriegsflüchtlinge aus dem Balkan unterkommen müssen, ist der Weg frei für den Sportpark, Harry Kibele zieht dafür die Strippen.. Eines der ersten Fitness- und Gesundheitszentren im Land öffnet mit den Physiotherapeuten Tschirschky und Becker, auch die AOK ist unter dem Dach, und so lange das Parken in der Tiefgarage kostenfrei bleibt, läuft der Laden. Dann aber nicht mehr. Und das tut weh.

Niemals „ich“, immer „wir“

„Irgendwie null auf null rauskommen war nicht unser Anspruch“, sagt Harry Kibele, der noch weiß, wie es sich anfühlt, als der VfL-Vorstand mehr sehen wollte. Und: Es wird viel mehr. Als der VfL Sindelfingen 2008 die Sportwelt am Glaspalast einweiht, ist das nicht nur eines der modernsten Sport- und Gesundheitszentren auf weiter Flur, es ist auch irgendwie Harry Kibeles liebstes Kind, der damals als Sportmanager die Weichen stellt.
Es ist der Beginn der nächsten Erfolgsgeschichte: Die Mitgliederzahlen explodieren, das Vereinszentrum amortisiert sich und spült genug Geld in die Kassen, damit ein Überschuss in die Abteilungen abfließt. Der Mitarbeiterstamm wächst und nimmt den Sparten Bürokratielasten, die Kindersportschule wird der Renner, die Reha-Angebote immer größer, die Sportwelt bekommt ihren Anbau. Harry Kibele beschreibt seine Art der Führung so: „Ich bin ein Mensch, der gerne mit anderen zusammenarbeitet, Freiräume lässt, aber ergebnisorientiert denkt.“ So tritt er auch nach außen auf, spricht nie von „ich“, sondern immer von „wir“.

Intern sind die Weichen längst gestellt. Ganz klar wird die Sache, als in Geschäftsführer Roland Medinger im Mai 2022 der langjährige Wegbegleiter und Partner als Kopf der Geschäftsstelle in den Ruhestand geht. Anne Köhler rückt als Geschäftsführerin in die Doppelspitze auf, der langjährige Sportmanager Andreas Hagedorn wird als stellvertretender Geschäftsführer eingesetzt. Beide machen schon länger einen sehr guten Job. Das Feld ist also bestellt. „Beide leisten schon seit langem eine hervorragende Arbeit. Der VfL hat eine gute Zukunft vor sich. Ich gehe gern. Alles hat sein Ende, meine Zeit hat ein Gutes“, ist sich der 65-Jährige sicher.

Erfolgsmeldungen

Zumal sich seine 35 Jahre auch aus anderen Perspektiven richtig gut lesen. 2001 entsteht das Konzept „Top Job“ zur betrieblichen Gesundheitsförderung, im gleichen Jahr lernen die Gesundheitstage im Sindelfinger Mercedes-Werk laufen. 2004 wird der Sportpark Partner der Daimler AG in Kooperation mit der SG Stern. Ein Jahr später eröffnet im Sportpark die AOK ihr Rückenkonzept und wird Dauermieterin. 2008 erhält der VfL als erster Verein in Deutschland das Qualitätssiegel „Sport pro Fitness – im Verein“ des DOSB, drei Jahre später den Preis „Klimaschutz im Sport“ durch Bundesumweltminister Norbert Röttgen und DOSB-Präsident Thomas Bach, dann den Goldenen Stern des Sports. Es sind nur einige Beispiele für wichtige Meilensteine des Architekten des modernen VfL Sindelfingen.

Zum Abschied am Donnerstag hätte er die Mannschaft am liebsten in den Biergarten eingeladen. Dass das nicht klappt und der VfL immer noch auf den lange erhofften Gastrobetrieb wartet, ist ärgerlich. Aber auch das wird noch kommen, ist sich Harry Kibele sicher. Hängen bleibt viel eher das, was Helga Fiebiger ihm mit auf den Weg gibt. 89 Jahre ist die Sindelfingerin alt und sagt: „Herr Kibele, ich kann ohne die Sportwelt nicht leben.“ Der Ruheständler muss sich ein bisschen daran gewöhnen. Oder er kommt halt rüber auf eine schöne Trainingseinheit in der Sportwelt, den Gang in die Sauna und eine Kaltschale danach.

Bild: Harry Kibele vor der Sportwelt des VfL Sindelfingen. Einen passenderen Platz kann es für dieses Bild nicht geben. Bild: z

 Quelle: Sindelfinger Zeitung/ Böblinger Zeitung