Entwurf des zweiten Jahressteuergesetzes 2024.
Der Entwurf des zweiten Jahressteuergesetzes 2024 bereitet Sportvereinen und Kommunen großes Kopfzerbrechen. Im gemeinsamen Schulterschluss appellieren diese an die politischen Entscheidungsträger, dass der Gesetzentwurf in seiner jetzigen Form nicht verabschiedet werden darf.
Der Entwurf des zweiten Jahressteuergesetzes 2024 bereitet zahlreichen der 5700 Mitgliedsvereine des Württembergischen Landessportbundes (WLSB) große Sorgen. Auch beim VfL Sindelfingen, mit deutlich über 9000 Mitgliedern der größte Verein im Kreis Böblingen, ist man besorgt.
Zur Ausgangslage: Wenn der Entwurf Gesetzeskraft erlangt, würde etwa die bislang umsatzsteuerpflichtige Überlassung von Sportstätten umsatzsteuerfrei werden. Dies hätte wiederum zur Folge, dass ein Vorsteuerabzug für den Bau einer Sportstätte oder Investitionen in eine Sportstätte nicht mehr möglich wären. Für viele Sportvereine wäre dies ein äußerst schwerer Schlag, da der Vorsteuerabzug insbesondere bei finanzintensiveren Bau- und Investitionsprojekten ein wesentlicher Bestandteil der Finanzierung ist.
Hinzu kommt: Bei einer Gesetzesänderung müsste auch § 15 a UStG angewendet werden, da sich die „maßgebenden Verhältnisse“ ändern. In der Folge wäre ein Vorsteuerabzug, der in den vergangenen fünf beziehungsweise zehn Jahren gewährt wurde, ganz bis anteilig zurückzuzahlen.
Das sagt der WLSB
WLSB-Präsident Andreas Felchle und Markus Graßmann, WLSB-Hauptgeschäftsführer und Vorstandsmitglied beim VfL Sindelfingen, äußern ihre Kritik in einem Schreiben an die Bundestagsabgeordneten aus Baden-Württemberg, die Mitglieder des Finanzausschusses und des Bildungsausschusses im Baden-Württembergischen Landtag und die Vorsitzenden der Fraktionen im Baden-Württembergischen Landtag.
Darin heißt es: „Am Beispiel des VfL Sindelfingen, mit deutlich über 9000 Mitgliedern einer der größten Mitgliedsvereine im WLSB, erlauben wir uns, die finanziellen Auswirkungen aufzuzeigen. Der Verein hat 2021 die Erweiterung seines Sportvereinszentrums, der Sportwelt, in Betrieb genommen – Investitionssumme: über fünf Millionen Euro.“
In der Sportwelt finden neben klassischem Fitnessstudio-Betrieb auch umfangreiche Kindersportangebote und Ferienbetreuung, sehr viele Gesundheits- und Präventionskurse und pro Woche über 70 Rehasport-Kurse etwa wie „Sport nach Krebs“ oder „Long Covid“ statt.“ Zudem würden die Sporträume auch anderen Vereinen überlassen, denen die Kommune keinen geeigneten Platz zur Verfügung stellen könne. Der VfL habe mit der Investition von über fünf Millionen Euro in die Sportwelt also Sporträume geschaffen, die eine wichtige soziale und gesundheitsfördernde Funktion übernehmen – für Tausende von jungen und älteren Menschen.
Weiter heißt es: „Ein wichtiger Baustein bei der Finanzierung der Erweiterung war der Vorsteuerabzug in Höhe von etwa 600 000 Euro. Würde der Verein nun durch die geplante Gesetzänderung zur Rückzahlung der Vorsteuer verpflichtet, käme dabei bis 2031 ein Betrag von etwa 400 000 Euro zusammen.
400 000 Euro, die in die Staatskasse fließen würden und nicht mehr für die wichtigen sozialen und satzungsgemäßen Aufgaben des Vereins zur Verfügung stünden. Es kommen also schnell hohe Summen zusammen, weshalb die reale Gefahr besteht, dass einige Sportvereine, die Vorsteuer zurückzahlen müssten, in finanzielle Schieflage geraten.“
Die ursprüngliche Absicht des Gesetzesentwurfs, die Nicht-Vorsteuerabzugsfähigkeit von Mitgliedsbeiträgen aufgrund notwendiger Anpassungen des deutschen Umsatzsteuerrechts an die EU-Mehrwertsteuersystemrichtlinie abschließend klarzustellen, führe in der vorgeschlagenen Form also zu einer erheblichen finanziellen Belastung vieler gemeinnütziger Sportvereine – und auch Sportverbände.
Streichung des Vorsteuerabzugs, Rückzahlung bereits gewährter Vorsteuer: Beides zusammen werde durch die finanziellen Belastungen so gut wie sicher spürbare Auswirkungen auf die Sportangebote und die soziale Arbeit der Sportvereine sowie die Bildungsarbeit der Sportverbände haben. „Das alles kann doch niemand ernsthaft wollen“, sagen Andreas Felchle und Markus Graßmann.
Die WLSB-Funktionäre ziehen diese Schlussfolgerung: „In der jetzigen Form darf der Gesetzesentwurf nicht verabschiedet werden. Denn dies wird zu erheblichen finanziellen Mehrbelastungen bei Sportvereinen und Kommunen führen und Einschnitte bei Bau und Unterhalt von Sportstätten nach sich ziehen. Angesichts des ohnehin hohen Modernisierungsbedarfs wäre dies ein fatales Signal, das sich auch auf die soziale Funktion und Arbeit der Sportvereine wie auch den Schulsport auswirken wird. Zum Sport in maroden Hallen, auf holprigen Fußballplätzen oder reparaturbedürftigen Tartanbahnen geht niemand gerne. Und ab dem Schuljahr 2026/2027 greift der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in Grundschulen, für den es aus unserer Sicht mehr und nicht weniger Sporträume braucht – damit die Kinder mit Unterstützung der Sportvereine sich ausreichend bewegen und gesund aufwachsen.“
Das sagt der VfL Sindelfingen
Auch beim VfL Sindelfingen ist man besorgt: „Der derzeit vorliegende Entwurf hätte für den VfL Sindelfingen erhebliche negative finanzielle Auswirkungen, weil wir in den letzten Jahren viel Geld in den Ausbau der Sportwelt investiert haben und wir nun nachträglich erhebliche zum Investitionszeitpunkt rechtlich zulässige, Vorsteuerabzüge zurückzahlen müssten“, sagt Dr. Heinrich Reidelbach, Präsident des VfL Sindelfingen.
Weitere Investitionen in die Sindelfinger Sportinfrastruktur würden in Zukunft deutlich erschwert. Dr. Heinrich Reidelbach konkretisiert: „Wir diskutieren gerade ein neues Sanierungsprojekt im Verein mit einer Investitionssumme von netto rund 250 000 Euro, das nach der Gesetzesänderung rund 300 000 Euro kosten würde. Ein gewaltiger Unterschied, der über „Go“ oder „No Go“ entscheiden kann. Das heißt, der eigentlich positiv erscheinende Effekt der Umsatzsteuerbefreiung für Sportvereine wird in das Gegenteil verdreht, weil der Vorsteuerabzug gestrichen werden soll. Deshalb hoffen wir sehr, dass der Gesetzesentwurf noch deutlich angepasst wird, so wie in der Stellungnahme des WLSB vorgeschlagen wird.“
Das sagt die Stadt Sindelfingen
„Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht!“, äußert sich Erster Bürgermeister Christian Gangl in seiner Eigenschaft als Sport- und Finanzdezernent der Stadt Sindelfingen kritisch zum Entwurf des Jahressteuergesetzes 2024 mit Blick auf die geplanten Regelungen in Zusammenhang mit dem möglicherweise gefährdeten Vorsteuerabzug für Investitionen in Sportstätten. „Wir begrüßen deshalb ausdrücklich die verschiedenen Initiativen der kommunalen Spitzenverbände und der Sportfachverbände auf Bundes- und Landesebene und befinden uns im Austausch mit dem VfL Sindelfingen. Den Inhalten des Offenen Briefes der SportRegion Stuttgart e.V. schließen wir uns in vollem Umfang an, eine Mitzeichnung konnte aufgrund von Koordinierungsproblemen und der kurzen Rückmeldefrist leider nicht erfolgen. Steuernachzahlungen in noch nicht absehbarer Höhe für Kommunen, Sportverbände und Vereine wären nicht nur ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich für den Sport selbst oder die Schaffung und Erhaltung der Sportinfrastruktur einsetzen, sondern aus der Sicht des Sports auch ein handwerkliches Eigentor des Bundesfinanzministeriums“, so Christian Gangl weiter.
Das sagt die Politik
Die SZ/BZ fragte bei Dr. Florian Toncar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen und FDP-Bundestagsabgeordneter aus dem Wahlkreis Böblingen, nach und erhielt folgende Antwort: „Im Entwurf des Jahressteuergesetzes 2024 wird eine Erweiterung der Umsatzsteuerbefreiung für die Nutzung von Sporteinrichtungen vorgeschlagen. Der Vorschlag steht im Zusammenhang mit der jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesfinanzhofs und soll die deutsche Rechtslage an die einschlägigen Gerichtsentscheidungen anpassen. Im Kern geht es darum, weitere Leistungen an Sportler von der Umsatzsteuer zu befreien. Das Gesetz soll im Herbst im Bundestag und im Bundesrat diskutiert werden.
Die Sorgen vor ungewollten schädlichen Folgen der angedachten Neuregelung sind bereits von mehreren Seiten an mich herangetragen worden. Dabei geht es in der Regel darum, dass für viele laufende oder vor Kurzem abgeschlossene Investitionsvorhaben z.B. in kommunale Sporthallen oder Schwimmbäder unterstellt wurde, dass es bei der bisherigen Rechtslage bleibt. Das Anliegen vieler Sportvereine und Kommunen nach Planungssicherheit ist für mich vollkommen nachvollziehbar. Es ist nicht beabsichtigt, entsprechende Investitionen zu erschweren. Die Bundesregierung arbeitet daher bereits gemeinsam mit den Bundesländern an einer Lösung für diese Problematik.“
Der WLSB bittet die politischen Entscheidungsträger, im anstehenden parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren auf eine Lösung hinzuwirken, die mit EU-Recht vereinbar ist und die zu keinen finanziellen Belastungen der Sportvereine führt.
Der WLSB fordert: „Die gemeinnützigen Vereine von der Umsatzsteuerpflicht zu befreien und ihnen gleichzeitig den Vorsteuerabzug zu gewähren. Dieser Vorschlag lässt sich umsetzen, in dem § 15 UStG in Absatz 3, Nr. 1 um einen Buchstaben „c) nach § 4 Nr. 22 Buchstabe c) steuerfrei sind“ erweitert wird. Dies wäre eine aus unserer Sicht EU-rechtskonforme Lösung, die zudem für einen erheblichen Bürokratieabbau bei gemeinnützigen Vereinen sorgen würde. Denn es würde die oftmals hochkomplizierte Kategorisierung von Einnahmen zu umsatzsteuerpflichtigen, anteilig umsatzsteuerpflichtigen und nicht-umsatzsteuerpflichtigen Erlösen sehr stark vereinfachen. Das wäre echter Bürokratieabbau, für den Zehntausende ehrenamtlich tätige Vereinsmitarbeitenden sicher ungemein dankbar wären.“
„Im deutschen Umsatzsteuerrecht bringen – anders als in allen anderen Steuerarten – Steuerbefreiungen nicht nur Vorteile, sondern mit dem Ausschluss des Vorsteuerabzugs auch Nachteile. „Um dieser systemwidrigen Belastung entgegenzuwirken, sieht das Umsatzsteuergesetz in § 9 etwa die Möglichkeit einer Option für denjenigen vor, der die Vorteile des Vorsteuerabzugs nutzen möchte, nur bei Leistungen an andere Unternehmer. Die führt jedoch zu einer Benachteiligung von Vereinen und Verbänden in ihren umsatzsteuerpflichtigen Tätigkeitsbereichen. Daher halten wir die Einführung eines ähnlichen Optionsmodells auch im Bereich des § 4 Nummer 22 c für sinnvoll inklusive der Erweiterung auf Privatpersonen als auch an Unternehmer. Dies hätte den Effekt, dass a) Vereine und Verbände, die aus einem Vorsteuerabzug keinen Nutzen ziehen, das Modell der Steuerbefreiung wählen könnten, und b) Vereine und Verbände, die (bedingt durch entsprechende Investitionen) Vorteile aus dem Vorsteuerabzug ziehen wollen, zur Umsatzsteuer optieren und damit den Vorsteuerabzug erhalten können“, so der WLSB.
Bild: In der VfL-Sportwelt finden neben klassischem Fitnessstudio-Betrieb auch umfangreiche Kindersportangebote, viele Gesundheits- und Präventionskurse sowie pro Woche über 70 Rehasport-Kurse statt. Bild: Dettenmeyer
Quelle: Sindelfinger Zeitung/ Böblinger Zeitung online