Die Partie ist gespielt, der Gegner hat gewonnen, die Punkte sind verloren – was bringt jetzt noch eine Analyse? Das haben wir Volker Rühl,
den Leiter unserer Schachabteilung, gefragt.
VfL-Magazin: Volker, was hilft es, eine Schachpartie hinterher zu analysieren?
Volker: Schach ist einer der Bereiche, in denen Analysen etwas bringen. Während im Fußball niemand weiß, ob eine andere Spielweise zu einem anderen Ergebnis geführt hätte, lässt sich im Schach nahezu zweifelsfrei nachweisen, dass der Springerzug nach E6 wirklich die Niederlage eingeleitet hat.
Moderne Schachcomputer können so etwas ausrechnen.
VfL-Magazin: High-Tech ist also die Lösung?
Volker: Teils, teils. Wer sich absolut sicher sein möchte, dass die Analyse richtig ist, kommt ohne eine starke Schach-Engine nicht aus. Andererseits zeigt die Gedächtnisforschung, wie wichtig es ist, gespeicherte Informationen mit persönlichen Erfahrungen zu verknüpfen. Ein Schachcomputer zeigt mir die „richtigen“ Zugfolgen. Aber das ist unpersönlich und wird schnell vergessen.
Ein Mensch hingegen kann mir die Idee hinter einem Zug erläutern. Etwa: „Wenn du mit deinem Bauern die Bauernkette sprengst, muss Weiß Bauern tauschen, und du kannst mit deinem Turm auf der offenen Linie angreifen.“ Außerdem macht es viel mehr Spaß, eine Partie mit netten Leuten zu besprechen als mit einer seelenlosen Maschine.
VfL-Magazin: Aber was bringt es überhaupt, eine Partie hinterher zu analysieren? Das Ergebnis wird sich nicht mehr ändern.
Volker: Es gibt in Schachpartien wiederkehrende Muster. Wenn man eine kluge Zugfolge versäumt hat, kann man sie vielleicht in einer späteren Partie nachholen. Durch die Analyse lernt man neue strategische Manöver kennen.
VfL-Magazin: Mit wem analysiert man am besten?
Volker: Ideal ist die Analyse direkt mit dem Gegner. Er weiß am besten, was er vorhatte. Aber auch Vereinskameraden haben oft Spaß daran. Man sollte nicht immer mit denselben Spielern analysieren, denn jeder Spieler hat seinen eigenen Stil. Das Motiv der ausgehebelten Bauernkette habe ich zum Beispiel von einem unserer Spitzenspieler, Jochen, gelernt. Jochen spielt gerne
so.
Fun Fact: In England „analysiert“ man nicht ganz so gerne wie in Deutschland. Dort heißt die nachträgliche Besprechung einer Schachpartie „post
mortem“, also „Leichenbeschau“. Der König ist tot (matt), und jetzt obduziert
man gemeinsam die Leiche. Typisch schwarzer britischer Humor eben.
Quelle: VfL- Magazin 03/2024
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