Trainiert wurde immer donnerstags
Wie in den knapp sechs Jahrzehnten aus ein bisschen Bewegung eine große Gemeinschaft wurde.
Die Abteilung „Sport für alle“ des VfL Sindelfingen vereint Menschen und sportliche Aktivitäten, die keiner Abteilung zuzuordnen sind. Eine davon ist die Gymnastikgruppe 404, eine reine Männergemeinschaft, die sich in den späten 1960er-Jahren in Sindelfingen gegründet hat.
Das Jahr 1967: Jackie Stewart fuhr um die Formel 1-Weltmeisterschaft, in Amerika gab es den ersten Superbowl, Eintracht Braunschweig wurde deutscher Fußballmeister und die Beatles hatten mit „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ ein Jahrhundertalbum hingelegt. Der Bundeskanzler hieß Kurt Georg Kiesinger, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg Hans Filbinger und der Bürgermeister von Sindelfingen Arthur Gruber. Karl-Heinz Reinheimer war der Präsident des VfL Sindelfingen und in der Sporthalle Gartenstraße trafen sich erstmals die Männer der Gymnastikgruppe 404. Einer von ihnen ist Eugen Bollinger. Der rüstige bald 90-jährige Recke dachte damals sicher noch nicht daran, im Jahre 2025 auf 58 Jahre Bewegung, Ausflüge, Aktivitäten und vor allem zahlreiche Freundschaften zurückzublicken. In der Spitze waren es 34 Männer, die sich den Donnerstagabend für ihr sportliches Treffen freihielten. Und heute? „Wir waren jetzt am Schluss immer zwischen fünf und neun Teilnehmern. Ja, wir sind halt nicht mehr die Jüngsten“, sagt Eugen Bollinger schmunzelnd. Bei einem Altersdurchschnitt von 86,5 Jahren aller aktuell 15 verbliebenen Mitglieder kann man von einem erfahrenen Kader sprechen. Auch Konrad Wenzel, der an diesem Abend im Rahmen der Weihnachtsfeier im Schwarzwaldverein zugegen ist, war fast von Beginn an dabei. Er stieß 1969 dazu.
Dieser Abend sollte nun den Abschluss einer 58-jährigen Geschichte bilden, der eine Würdigung von höchster Stelle beinhaltete. VfL-Präsident Dr. Heinrich Reidelbach ließ es sich nicht nehmen, persönlich teilzunehmen und seinen Dank an die illustre Gruppe auszusprechen. „Das zeigt, dass Sport in einer Gruppe verbindet und daraus Gemeinschaft entsteht. Sie sind damit ein großes Vorbild für viele andere“, sagte Reidelbach in seiner kurzen Ansprache. „Ich wünsche Ihnen weiterhin beste Gesundheit und dass Sie diese Gemeinschaft weiter pflegen können.“ Denn so ganz endet diese bemerkenswerte Ära nicht, sagt Eugen Bollinger. „Wir treffen uns weiterhin zum Waldlauf, also ‚im Wald laufen‘“, betont er mit einem Augenzwinkern. Und danach geht es zur Einkehr in das Schwarzwaldvereinsheim.
Auf der Leinwand präsentierte Vereinsmitglied Horst Emler filmische und fotografische Elemente aus den letzten Jahrzehnten. „Die Bilder können verstörend sein, denn da waren wir alle etwas jünger“, ergänzt Emler lächelnd. Ausflüge in die Steiermark, Radtouren, Wanderungen und kulturelle Ausflüge. Auch die Fotos von Skiausfahrten führten zu Kommentaren. „Heute muss man den Schnee dazu malen“, sagt einer der Vereinsmitglieder. Eugen Bollinger hat alles in einer fünfseitigen Liste festgehalten – und diese reicht gerade bis 1981 zurück. Das zeigt: Sport ist mehr als körperliche Ertüchtigung. Sport ist ein Anlass, um Menschen zusammenzubringen, damit sie auch in privatem Rahmen ihre Interessen teilen und sich Freundschaften aufbauen und pflegen lassen.
für alle,
Als 1990 als Übungsleiter Rolf Dinkelacker ersetzt werden musste, bot sich Dr. Ludwig Gündel „für ein paar Abende“ an. „Daraus wurden 29 Jahre“, so Bollinger. „Er kann heute krankheitsbedingt nicht da sein.“ Und eine reine Männerveranstaltung war es da schon lange nicht mehr. „Wir Frauen verstehen uns so gut“, sagt Irmgard Bollinger über die Gemeinschaft, die sich aus der Gymnastikgruppe gebildet hatte. Die Ehefrauen trafen sich außerhalb der Männergruppe und sind seit jeher Teil des Ganzen. „Und der Donnerstagabend war unseren Männern immer heilig, komme was wolle“, betont Irmgard Bollinger. Eines der Höhepunkte in all den Jahren war das jährliche „Saufest“ bei Heidrun und Armin in Stammheim. „Anfangs mit Kindern und mit bis zu 70 Leuten“, ergänzt Bollinger. Auf Bollingers Liste stehen zudem 38 Bergwanderungen, 27 Ausfahrten, 32 kulturelle Ausflüge, 26 Vorweihnachtswanderungen, 25 Radtouren und sechs Skiausfahrten. Nicht zu vergessen über 100 Tagesausflüge… ein wahrlich sportliches Programm in all den Jahren. Die Aktivitäten und aktuellen Informationen wurden jahrelang mit viel Liebe im Rahmen eines eigenen Magazins kommuniziert. Auch das zeigt, mit wie viel Herzblut die Gruppendynamik gepflegt wurde.
Die unprätentiöse Art der vielen engagierten Persönlichkeiten rund um die Gymnastikgruppe 404 zeigt und lehrt, worauf es in unserer Gesellschaft ankommt. Mit anderen Menschen ungeachtet ihres Hintergrunds gemeinsame Interessen pflegen, sich auf Augenhöhe begegnen, ohne auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein. Einfach miteinander und füreinander da sein. Am Ende geht vielleicht eine Sportgruppe zu Ende, die Menschen und Erinnerungen bleiben. „Bis es nicht mehr geht.“
Bild: Stehend von links nach rechts: Dr. Heinrich Reidelbach (VfL-Präsident), Helmut Decker, Konrad Wenzel, Wolfgang Schreiber, Roman Till, Heinz Rössle, Rudi Meyer, Heinz Nienaus, Günther Klotz, Dietrich Balzer, Sitzend von links nach rechts: Eugen Bollinger, Horst Emler, Manfred Andres, Heinz Feger, Rolf Richter, Dieter Holy.
Bild: photostampe
Quelle: Sindelfinger Zeitung/ Böblinger Zeitung online