Leichtathletik: Wenn Stäbe brechen und Träume platzen

Als Eurosport nach Belgrad schaltet, ist Florian Gaul am Boden. Und das in mehrerer Hinsicht. So viel hatte sich der Stabhochspringer des VfL Sindelfingen bei der Hallen-Europameisterschaft in Belgrad vorgenommen. Endlich ist er bei einem der ganz großen Meisterschaften am Start. Aber es soll keine Höhenflüge geben. Im Gegenteil, diese Bruchlandung tut weh.
Für die Leichtathletik-Fans am Fernseher ist es nicht einmal eine Randbemerkung irgendwo zwischen schnellen Läufen und Werbepausen der TV-Übertragung. Dass der 25-Jährige bei Beginn der Übertragung seine Stäbe schon wieder eingepackt hatte, bleibt verborgen. Auf den Ergebnislisten im Internet ist nur nackt und kalt vermerkt, dass der Sindelfinger raus ist. Dreimal „ogV“. Das bedeutet dreimal „ohne gültigen Versuch“. Nichts gerissen, steht da. Aber die Geschichte, die dahinter steckt, ist geradezu brutal.
Florian Gaul ist wirklich alles andere als vom Glück verfolgt. In Rio brannte das olympische Feuer nicht für ihn – obwohl er die nötigen Höhen locker meisterte. Aber eben zu spät. Mitte Juli stellt er in Rottach-Egern einen neuen Hausrekord mit 5,77 Metern auf, hat die Jahresbestleistung des Deutschen Meisters Tobias Scherbarth um zwei Zentimeter überboten.
So hoch und doch zu spät
Es ist nur ein schwacher Trost, mit diesem Sprung in der europäischen Jahresbestenliste auf Rang vier und in der Weltrangliste auf Rang sieben zu liegen. Den Spitzenplatz in der deutschen Jahresbestenliste kann Florian Gaul im olympischen Jahr keiner mehr nehmen. Aber Olympia läuft ohne ihn – genau wie die Europameisterschaften. Auch dafür knackt er die Norm zu spät.
Dass der Sportler dennoch im SZ/BZ-Interview sagte „Ich bin sehr zufrieden mit meiner Saison“, spricht für sich. Die sportlichen Leistungen sind knackig, nur das Timing passt nicht. Florian Gaul: „Ich bin diese Saison nicht mit dem Ziel angegangen, mich für Rio de Janeiro zu qualifizieren, hätte aber nie gedacht, dass es für Olympia reicht. Natürlich ist es schade, und die Entzündung meiner Bizepssehne hat mich gut zwei Wochen gekostet, aber das sind alles nur Spekulationen.“ Seine Ziele nach dem fastolympischen Sommer: „Die 5,80 Meter wären ein nächster Schritt. Außerdem würde ich gerne bei den Aktiven international starten.“
Der Athlet, der sich selbst von einem Bandscheibenvorfall nicht aufhalten ließ und trotzdem bei den deutschen Meisterschaften zu Bronze sprang, lässt sich nicht unterbuttern. Er ist tatsächlich in Belgrad dabei – und dann so etwas! Wieder platzt ein Traum. Dieses Mal, weil der Stab bricht. Im Netz kursiert das Video dazu, das in 15 Sekunden das Drama dokumentiert und das man sich auch über die Facebookseite der SZ/BZ anschauen kann.
Florian Gaul trägt da noch Trainingsklamotten, will sich beim Einspringen mit ersten Sprüngen an die Wettkampfbelastung heranarbeiten. Mit dem Stab in der Hand läuft er auf den Einstichkasten zu. Der Stab biegt sich, aber das nur kurz, dann zerbricht er mit einem lauten Knall in mehrere Teile. Gaul landet unsanft, die Beine sind schon zum Aufrollen nach oben gestreckt, mit dem Rücken auf der Matte. Einigermaßen verdutzt muss sich der Sindelfinger erst wieder besinnen, ein Stück seines Stabs hält er noch in den Händen. Schon beim Aufstehen wurde klar: Der Stabbruch ist nicht ohne Folgen geblieben.
Blut an Knie und Händen
Kurz unter dem Knie blutet es heftig, Gaul setzt sich erst mal auf den Hallenboden und bemerkt auch die Schnittverletzungen an den Händen. Der 25-Jährige wird sofort behandelt und ist bei der Athletenvorstellung wieder mit dabei, für große Sprünge reicht es aber nicht mehr.
Der VfL-Abteilungsleiter Markus Graßmann sieht die Bilder erst etliche Stunden später: „Das tut uns allen natürlich unendlich leid.“ Aber er findet auch aufmunternde Worte: „Stabhochsprung ist gefährlich. Es werden aber auch neue Aufgaben kommen unter anderen Bedingungen. Florian Gaul hat Nerven wie Drahtseile und ist unheimlich zäh, er wird noch für Furore sorgen.“
„Das ist dumm gelaufen
„Es muss irgendwie ein Materialfehler gewesen sein, denn es war eigentlich ein guter Sprung. Das ist dumm gelaufen“, sagt Florian Gaul. Der Athlet hat sich mit seinem Sportgerät schon über viele Höhen geschwungen. „Den Stab bin ich schon gesprungen. Vielleicht ist auf der Reise irgendetwas passiert“, sagt er. Trotz des Unglücks: Genau genommen kann der Sindelfinger sogar froh sein, dass der Unfall so glimpflich ausgegangen ist.
Das wiederum ist entscheidend für den deutschen Vizemeister der aktuellen Hallensaison, dessen Bestleistung in diesem Winter bei den in Sindelfingen gesprungenen 5,60 Meter steht. Markus Graßmann: „Er hat trotz vieler Rückschläge zum Teil Weltklasse-Leistungen gezeigt und lässt sich auch von diesem Erlebnis nicht klein kriegen. Wenn es einen gibt, der sich internationale Beachtung in den letzten drei Jahren hart erarbeitet hat, dann Florian Gaul.“
„Die Situation ist jetzt nun mal so wie sie ist. Da macht es auch kein Sinn sich jetzt Gedanken zu machen. Ich schau jetzt nach vorne und hoffe, dass ich im Sommer endlich zeigen kann was ich drauf habe“, sagt Florian Gaul. Er wird von seinem Unfall wohl keine bleibenden Schäden davontragen: „Mir geht es soweit gut. Ich habe Schnitte am Knie und an der Hand und kann momentan mit der linken Hand noch nichts wirklich greifen. Aber der Arzt sagt es ist nichts wichtiges verletzt worden.“
Ein schwacher Trost – aber dieses Mal ein ganz wichtiger.
Quelle: SZ-BZ Online