London is calling, aber vielleicht gehen die Rufe an Nadine Hildebrand vorbei – dabei hat die Olympiasprinterin von Rio de Janeiro die WM-Norm längst geknackt. Jetzt tickt die Uhr in einem Wettlauf, den die Ausnahmeathletin des VfL Sindelfingen auf keinen Fall verlieren will.
Es passiert viel zu häufig: eine Sportverletzung, die die Form kostet und um Wochen oder Monate zurückwirft. Auch die Sindelfinger Topathleten sind vor unangenehmen Verletzungen nicht gefeit. Mitten in der Vorbereitung auf die Weltmeisterschaften in London hat es nun Nadine Hildebrand erwischt.
Fast jeden Tag sprintet die Sindelfinger Leichtathletin über Hürden, schließlich gehört sie über die 100-Meter-Hürdenstrecke zur deutschen Spitze und trainiert teilweise mehrmals täglich. Und trotz der vielen Trainingsstunden, jahrelanger Erfahrung, vor einer guten Woche in Dessau passierte es dennoch. Hildebrand trat in einem internationalen Feld an, lag in Führung und konnte doch ihr Rennen nicht zu Ende bringen. Ein deutliches Ziehen im Beuger signalisierte der Hürdensprinterin: keinen Schritt weiter.
„Ich habe gleich abgebremst, um weiteren Schaden zu verhindern, es wäre unvernünftig gewesen, das Rennen zu beenden“, sagt die Sportlerin, die die Verletzung gleich mit Eis behandelte. Wahrscheinlich Glück im Unglück. Bei einem MRT wurde zwar ein Muskelfaserriss festgestellt, aber nur ein kleiner. Wäre Hildebrand allerdings noch weiter gelaufen, hätte sie ihre Pläne für London auf der Stelle streichen können, der Muskel wäre zu stark beschädigt gewesen.
Nun bleibt also noch ein Fünkchen Hoffnung, dass die Muskulatur rechtzeitig wieder fit ist für die hohe Belastung eines Hürdensprints. Um bei den deutschen Meisterschaften in Erfurt antreten zu können und sich ein Ticket für die Weltmeisterschaften zu sichern, gibt Nadine Hildebrand alles. Die Muskulatur soll schnell regenerieren, doch die Sindelfingerin weiß: Zu Beginn ist es am besten, erst mal Nichts zu tun. „Ich habe zuerst eine komplette Pause gemacht, den Oberschenkel so wenig wie möglich belastet, die Beine hochgelegt“, sagt Hildebrand, die aus Erfahrung weiß, dass es nichts bringt, nach einer Verletzung überstürzt wieder ins Training einzusteigen. „Man darf nicht zu viel wollen.“
Schweinefleisch hat sie vermieden, das hat schließlich den Ruf bei Muskelverletzungen die Regeneration zu verlangsamen. Von unterstützenden Präparaten hält sie wenig. „Damals bei meiner Knorpelverletzung hieß es, es gibt Präparate, die den Knorpelaufbau unterstützen. Als ich sie meinem Arzt gezeigt habe, hat er nur gelacht und gesagt ‘Da kannst du auch Gummibärchen essen’“, erzählt die Sindelfinger Olympiateilnehmerin. Auf ihre Ernährung achtet sie sowie gewissenhaft. „Zu viel essen sollte ich natürlich auch nicht, sonst ist es schwer, ohne Training sein Wettkampfgewicht zu behalten.“
Am Wochenende hat die VfL-Athletin mit leichtem Joggen begonnen, in der Hoffnung, dass das Loch in der Muskulatur schon wieder zu großen Teilen geheilt ist. Täglich geht es außerdem in die Eistonne. Ganz neu steht diese, extra für die Regeneration der Leichtathleten, im Floschenstadion und wird rege genutzt. Die Muskeln werden bei unter zehn Grad Wassertemperatur heruntergekühlt, die Durchblutung und die Regeneration angeregt. Auch zum Physiotherapeuten geht es in dieser Woche für Hildebrand regelmäßig. Bis zu zwei Mal am Tag wird der Oberschenkel behandelt.
Die nächsten Belastungstests sind dann Steigerungen. „Anders als im Winter ist der Riss nicht so groß, deswegen sollte er schneller verheilen“, sagt die 29-Jährige, die schon in der Hallensaison auf die Europameisterschaften in Belgrad verzichten musste, weil sie sich bei den Landesmeisterschaften im Glaspalast einen ersten Muskelfaserriss zuzog. „Ich muss vor allem versuchen, mich nicht verrückt machen zu lassen. Nach so einer Verletzung hört man natürlich intensiver in sich hinein und spürt gerne auch Sachen, die gar nicht da sind.“
Saskia Drechsel ist selbst Leichtathletin mit Herz und Seele, dazu begeisterte Outdoor-Sportlerin. Auf dem Mountainbike oder in der Boulderhalle fühlt sie sich pudelwohl
Nadine Hildebrand: Es ist verzwickt. Die Hürdensprinterin war so gut drauf, knackte die WM-Norm. London ruft, aber ein Muskelfaserriss könnte ihre Pläne zunichtemachen. Bild: Drechsel
Quelle: SZ/BZ-Online