Die ehemalige Weltklasse-Hürdensprinterin Nadine Hildebrand spricht als Athletensprecherin des Deutschen Leichtathletik-Verbands aus der Seele der Sportler
2018 hängte Nadine Hildebrand nach dem ISTAF im Berliner Olympiastadion die Spikes an den Nagel. Die Hürdensprinterin des VfL Sindelfingen verabschiedete sich nach einer erfolgreichen Karriere mit mehreren deutschen Meistertiteln und der Olympiateilnahme 2016 vom aktiven Leistungssport. Als Athletensprecherin im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) ist die Rechtsanwältin aber gerade in den letzten Wochen zu einer wichtigen Ansprechpartnerin geworden.
Mit der SZ/BZ spricht die 32-Jährige über die schwierige Situation der Athleten, die Verschiebung der Olympischen Spiele und ihre Leben nach dem Karriereende.
Als Athletensprecherin des DLV hat man einen Sitz im Präsidium und zudem im Verbandsrat und im Bundesausschuss Leistungssport. Zuletzt gab es viele Telefonkonferenzen mit der DLV-Führung, mit dem DOSB und den Athleten Deutschlands. Welche Themen waren da in den letzten Wochen zentral?
Nadine Hildebrand: „Es waren drei Punkte, bei denen eine Entscheidung gedrängt hat: Zum einen musste entschieden werden, ob die Olympischen Spiele stattfinden oder nicht. Dann ging es um die Förderung: Geht es mit der Sporthilfe weiter oder müssen die Athleten kellnern gehen. Und natürlich ob die schon erreichten Qualifikationen bestehen bleiben oder eine neue Qualifikation nötig sein wird. Wir werden erst im nächsten Jahr wissen, ob die Entscheidung einer Verschiebung richtig war, aber die Unterstützung der Sporthilfe wird fortgesetzt und die erreichten Normen bleiben bestehen, das ist wichtig für die Athleten.“
“Niemand will, dass
das viele Training
umsonst war”
Wie ist die Situation und die Stimmung bei den Athleten?
Nadine Hildebrand: „Ich habe in den letzten Wochen mit vielen Leichtathleten gesprochen, um mir ein Stimmungsbild abzuholen. Viele hoffen, dass es gegen Ende des Jahres noch Wettkämpfe gibt, niemand will, dass das viele Training umsonst war. Die deutschen Meisterschaften sind bisher verschoben und nicht abgesagt, wir hoffen, wenn möglich auf einen neuen Termin. Bei den Trainingsmöglichkeiten gab es zuletzt große Unterschiede. Es ist eben Ländersache, wie mit den Sportanlagen und Stützpunkten verfahren wird. In einigen Bundesländern konnten die Einrichtungen genutzt werden, in Baden-Württemberg war das lange nicht möglich.“
Die Anlagen des Olympiastützpunkts Stuttgart sind jetzt für Bundeskaderathleten wieder geöffnet. Für einige Athleten bietet die Verschiebung ja durchaus eine Chance, wenn man etwa an den Sindelfinger Kugelstoßer Simon Bayer denkt, der sich in den letzten Jahren kontinuierlich gesteigert hat. Zur Olympianorm hätte ihm aber in diesem Jahr wahrscheinlich noch ein Stück gefehlt…
Nadine Hildebrand: „Natürlich habe gerade jüngere Athleten jetzt die Chance sich weiterzuentwickeln und das zusätzliche Jahr zu nutzen, allerdings bedeutet das auch eine sehr lange Vorbereitung und ein Jahr ohne große Ziele und Wettkämpfe ist eine große mentale Herausforderung.“
Was sind für Athleten die Nachteile an einem Jahr ohne oder mit nur wenigen Wettkämpfen?
Nadine Hildebrand: „Ohne eine Überprüfung in Wettkämpfen ist es sehr schwierig zu sehen, ob das Training überhaupt die angepeilte Wirkung hatte. Auch mental braucht es ein Ziel, auf das man hinarbeitet, jetzt müssen sich die Sportler neu fokussieren. Auch für Trainer ist die Planung eine Herausforderung. Wenn man zu früh mit dem Aufbau für 2021 beginnt, kann die Form nicht so lange gehalten werden, außerdem hatten viele wochenlang keine Trainingsgeräte zur Verfügung und konnten nicht auf die Tartanbahn.“
“Gerade für ältere Athleten ist es hart, ein Jahr
komplett verletzungsfrei zu bleiben”
War es im Hinblick auf das Karriereende 2018 nun noch etwas positiver, sich gegen zwei weitere Jahre und eine mögliche Olympiaqualifikation entschieden zu haben?
Nadine Hildebrand: „Schon zu Beginn des Jahres 2018 stand für mich fest, dass ich meine Karriere in diesem Jahr beenden werde und ich bin auch froh, dass ich das damals so entschieden habe. Ich würde mich ansonsten ärgern. Man wird schließlich nicht jünger und gerade für ältere Athleten ist es hart, ein Jahr komplett verletzungsfrei zu bleiben.“
Wie sieht das Leben nach dem Leistungssport aus?
Nadine Hildebrand: „Ich arbeite nun Vollzeit als Rechtsanwältin und sportlich aktiv bin ich natürlich trotzdem noch. Wenn man jahrelang sechs bis acht Mal pro Woche trainiert hat, fühlt sich fünf Mal Sport pro Woche immer noch wenig an. Einmal die Woche bin ich bisher auch noch in den Kraftraum gegangen. Aktuell geht das natürlich nicht und ich arbeite im Homeoffice.“
Bild: Nadine Hildebrand im Trikot des VfL Sindelfingen.
Quelle: SZ/BZ-Online