Leichathletik: In den sechziger Jahren feierten die Sindelfinger Athleten erste große Erfolge / SZ/BZ-Serie über die Geschichte der VfL-Leichtathleten (Folge 3)
Im Jahr 1920 – der 1. Weltkrieg ist vorbei – erfährt auch der Sport einen Neuanfang. Einige beherzte junge Männer des „Turnvereins“ gründen in Sindelfingen eine Leichtathletik-Abteilung, aus der sich mit den Jahren eine Leichtathletikhochburg in Baden-Württemberg entwickelt. In der dritten Folge geht es um die ersten großen Erfolge der Blau-Weißen.
Bis sich der VfL Sindelfingen zu einem Verein entwickelte, der Olympiateilnehmer stellte, vergingen einige Jahre. Die ersten Erfolge waren der Gewinn baden-württembergischer Meistertitel und Teilnahmen an den Deutschen Meisterschaften. So etwa die frühen Erfolge vom späteren Abteilungsleiter Otto Welker und Margot Körner, die die ersten württembergischen Meistertitel nach Sindelfingen brachten und zu den deutschen Jugendmeisterschaften reisten.
Als eine von zwei Sindelfinger Leichtathletinnen in den sechziger Jahren wird Christl Grötzinger genannt, die es zu den nationalen Titelkämpfen der Aktiven schaffte. Sie wechselte als aktive 800-Meter-Läuferin im Jahr 1965 zum VfL Sindelfingen und genoss die guten Trainingsbedingungen im damals verhältnismäßig neuen und modernen Sindelfinger Floschenstadion. „Nach dem Training sind wir alle zusammen hoch in die Stadiongaststätte und es gab Spätzle mit Soße“, erinnert sich die Sportlerin, die unter dem Namen Christl Wolf der Leichtathletik-Abteilug noch immer erhalten geblieben ist. In ihren Jahren im Sindelfinger Trikot konnte sie zahlreiche Erfolge feiern, verbesserte die Vereinsrekorde der Strecken von 100 bis 1500 Meter mehrfach und gewann, gerade über die 400 und die 800-Meter-Strecke und im Waldlauf, zahlreiche württembergische Meistertitel. In ihrem erfolgreichsten Jahr 1965 lief Christl Grötzinger zuerst zur Bronzemedaille bei den Deutschen Waldlaufmeisterschaften der Junioren und dann zur Silbermedaille über die 800-Meter-Strecke bei den Deutschen Juniorenmeisterschaften. Bei den Aktiven reichte es 1968 zu einem starken vierten Platz über 1500 Meter in 4:48,4 Minuten. Und das alles mit drei Trainingseinheiten pro Woche, die sie oft alleine oder mit ihren männlichen Kollegen absolvierte.
Frauen waren Magelware
Sportlerinnen waren zu dieser Zeit in Sindelfingen noch Mangelware. Die 800 Meter waren für Frauen erst seit 1960 olympisch, seit 1968 laufen die Frauen auch 1500 Meter, davor galt Laufen über lange Strecken aufgrund der Erschöpfung der Läuferinnen als unzumutbar. Ihr Trikot musste sich die heute 76-Jährige indes selbst nähen. Ein hellblaues Frottee-Shirt mit einem VfL-Abzeichen vorne drauf. Auch sonst zeigte sie großen Einsatz: „Ich habe von morgens an bis fünf Uhr am Nachmittag bei einem Steuerberater gearbeitet und dann bin ich mit dem Bus ins Training gefahren. Massagen oder ein Eisbad, das alles gab es bei uns noch nicht“, erzählt Christl Wolf heute. An eine große Ehre im Jahr 1968 erinnert sich die Sportlerin noch heute: „Ich wurde zur Sportlerin des Jahre im Kreis Böblingen gewählt und durfte mich für den Sportlerball mit einem Abendkleid einkleiden lassen.“
Bedauerlicherweise fand die Karriere der Sindelfingerin schon im selben Jahr ein Ende. „Ich habe schon 1968 aufgehört, um in der Spitzenklasse mitlaufen zu können, hätte ich mehr trainieren müssen.“ Dem Verein blieb Christl Grötzinger aber treu und arbeitete alsbald als Trainerin Seite an Seite mit Herbert Bohr. Gemeinsam betreuten sie auch die erfolgreiche 3×800 Meter Jugendstaffel, die mit Margret Klier, Marika Renz und Elke Zimmermann zur Deutschen Meisterschaft lief. Schließlich rückte Christl Wolf, gemeinsam mit Ehemann Helmut ins Wettkampfbüro der Blau-Weißen auf.
Ebenfalls Ende der sechziger Jahre wuchs in Sindelfingen ein großes Talent heran. Bernd Herrmann kam über das Turnen, das Kunstradfahren und den Fußball schließlich zu den Leichtathleten des VfL Sindelfingen. Beim Herbstwaldlauf war er auf Anhieb Zweiter geworden und fand so den Weg ins Floschenstadion. „Ich war beim Fußball immer schnell, wurde aber deswegen viel gefoult und die Landung auf dem Ascheplatz tat weh“, erinnert sich Herrmann. Das sollte ihn später bei den Leichtathleten wieder einholen, versuchte er doch, sich als Teil des Zehnkampfes das Hürdenlaufen selbst beizubringen und landete häufig auf der Asche. Auch im Stabhochsprung waren die Bedingungen nicht optimal. „Wir sind mit Stahlstangen gesprungen, die sich praktisch nicht gebogen haben. Mit viel Mut bin ich 3,20 Meter gesprungen.“ Bald Erfolg hatte er im Dreisprung. Unter Trainer Dieter Gauger wurde er deutscher Jugendvizemeister im Dreisprung mit 14,68 Metern. „Das Training war sehr vielseitig, ich hatte unheimlich Spaß. Viele Freunde habe ich auch gefunden, der Verein hatte ja einen Einzugsbereich bis in den Schwarzwald“, erzählt Herrmann.
Erste Medaille in Paris
Auch die direkten Vorbilder waren für ihn nicht weit. „Das war damals Wolfgang Fischeder, der Vereinsrekordinhaber über die 100, 200 und 400 Meter.“ Ein Höhepunkt war deswegen immer der gemeinsame Staffellauf oder aber das Zusammenkommen in der Stadiongaststätte nach dem Training. „Mit Wurstsalat haben wir die Kalorien wieder aufgefüllt.“ 1970 steigerte sich Herrmann über die 400-Meter-Strecke dann auf 47,7 Sekunden und feierte mit dem Bronzerang mit der deutschen 4×400-Meter-Staffel bei den Junioren-Europameisterschaften in Paris seinen ersten internationalen Erfolg.
„ Ich wollte in die Sportförderung der Bundeswehr, die gab es für Sprinter aber nur in Köln“, sagt Herrmann. Der schnelle Schwabe entschied sich schweren Herzens für einen Vereinswechsel und feierte fortan im Trikot von Bayer Leverkusen große Erfolge. 1972 schaffte er es tatsächlich zu den Olympischen Spielen in München und landete mit der 4×400-Meter-Staffel auf dem undankbaren vierten Rang. Zwei Jahre später gewann er hinter Karl Honz bei den Europameisterschaften in Rom nach 45,78 Sekunden Bronze.
Vier Jahre später in Montreal reichte es bei Herrmanns zweiten Olympischen Spielen dann zu Bronze mit der Staffel. „Danach gab es einen Empfang des Oberbürgermeisters Gruber in der Freibadgaststätte, ich war ja all die Jahre Mitglied des VfL Sindelfingen geblieben.“
Quelle: SZ/BZ-Online