Leichtathletik: Die Talentschmiede läuft wie geschmiert

Leichtathletik: In 20 Jahren macht „Speedy“ 1500 Kindern Beine – und manche kommen ganz groß raus / SZ/BZ-Serie zur Geschichte der Leichtathleten (Folge 7)

1920, der 1. Weltkrieg ist vorbei und auch der Sport erfährt einen Neuanfang. Einige beherzte junge Männer der Freien Turnerschaft gründen in Sindelfingen eine Leichtathletik-Abteilung, aus der sich mit den Jahren eine Leichtathletikhochburg in Baden-Württemberg entwickelt. In der siebten Folge geht es um Birgit Hamanns Talentschmiede „Speedy“, die in diesem Jahr ebenfalls ein Jubiläum feiert.

Vor 20 Jahren gründet Birgit Hamann die Leichtathletikschule „Speedy“ des VfL Sindelfingen. Die Olympiateilnehmerin von Atlanta will ihre Erfahrungen weitergeben und stößt schnell auf riesige Nachfrage. Alles beginnt mit einer fixen Idee: „Nach meiner sportlichen Karriere wollte ich der Leichtathletik weiter verbunden bleiben. Außerdem war da der Gedanke: Wenn ich es zu den olympischen Spielen geschafft habe, dann schaffen das andere auch. Man muss nur Talente finden und fördern“, denkt sie zurück.

 

So nimmt sie im Jahr 2000 an ihren letzten deutschen Meisterschaften teil, im November desselben Jahres fällt der Startschuss für „Speedy“. Auf Anhieb gibt es 50 Anmeldungen. Die Trainingsbedingungen sind ideal, schließlich gibt es mit Glaspalast und Floschenstadion großzügige Trainingsstätten. Für kindgerechte Trainingsgerätewird Birgit Hamann selbst kreativ. „Bananenkisten eignen sich hervorragend als Hürden und Hindernisse, mit selbstgebauten Wurfraketen haben die Kinder großen Spaß“, erzählt die 50-Jährige. Auch Tennisbälle und ausrangierte Fahrradreifen sind vielgenutzte Wurfobjekte bei den Speedys.

 

Hohe Qualität

 

Bald beschäftigt die Leichtathletikschule mehrere zertifizierte Trainer, schließlich zählt bei der Ausbildung der Schützlinge die Qualität. „Und das geht eben nur in kleinen Gruppen von maximal fünfzehn Kindern und mit einem verlässlichen Angebot. Bei uns fällt keine Trainingseinheit aus.“ Viele Trainer sind schon seit einigen Jahren mit dabei und gehören damit zum Inventar in Glaspalast und Floschenstadion. „Zum Beispiel Anna Wiesner, Rahel Dengler oder Alexander Ott. Sie alle bringen viel Leidenschaft für die Leichtathletik mit und sind mit Herzblut dabei“, sagt Birgit Hamann.

 

Mit ihren inzwischen sechs Trainern sowie einigen Traineranwärtern, die die ausgebildeten Trainer unterstützen und so viel Praxiserfahrung sammeln, werden inzwischen 180 Kinder betreut. In den letzten 20 Jahren haben rund 1500 Kinder zwischen fünf und 13 Jahren die Leichtathletikschule durchlaufen. „Am Anfang geht es um allgemeine Grundlagen, mit zunehmendem Alter fördern wir die Kinder ihren Neigungen entsprechend, beispielsweise in der Fördergruppe Hürden und Sprung.“

 

Das Ziel ist eine breit gefächerte Ausbildung. Gerade in jungen Jahren können koordinative Grundlagen gefördert werden, die später für Erfolg in technisch anspruchsvollen Disziplinen der Leichtathletik sorgen. Auch die Kräftigung der Muskulatur ist Birgit Hamann sehr wichtig: „Hier geht es um Übungen mit dem eignen Körpergewicht und sehr vielen Wiederholungen. Die Kinder sitzen im Alltag überwiegend, das muss ausgeglichen werden.“

 

Auch deswegen sollen sich die Nachwuchssportler in jeder Trainingsstunde so viel wie möglich bewegen. „Sie sollen nach dem Training ausgelastet sein mit roten Backen und strahlenden Augen“, sagt die Speedy-Leiterin. Für den talentierten Nachwuchs sorgte die Olympiateilnehmerin in der Vergangenheit mithilfe zahlreicher Talentsichtungen selbst. Durch die regelmäßige „Knaxiade“ in Kooperation mit der Kreissparkasse Böblingen, finden viele Talente den Weg zur Leichtathletik.

 

Zwischen 2005 und 2015 stattet Birgit Hamann außerdem den Sindelfinger Grundschulen einen Besuch ab und lässt die Schüler durch die Lichtschranke spurten. „Spannenderweise sieht man an den Messergebnissen, dass die Werte zwischen den Jahren 2005 und 2011 kontinuierlich schlechter geworden sind“, sagt Birgit Hamann.

 

Große Namen

 

Zahlreiche Talente sind es dennoch, die nach dem Durchlaufen der Leichtathletikschule zu nationalen und internationalen Ehren kamen. Beispiele aus den ersten Jahren sind Stephan Stoll und Philipp Pflieger. Der eine lief über die 400 Meter Hürden in das Finale der U23-EM in Kaunas, der andere war Marathonläufer bei Olympia in Rio de Janeiro. „Für mich wie für viele andere war Speedy die Tür zum VfL Sindelfingen. Nach den ersten Jahren in der Leichtathletikschule war es dann vor allem Harry Olbrich, der mein Lauftalent erkannte, mich in seine Trainingsgruppe aufnahm und maßgeblich förderte“, sagt Pflieger. Und Alexander Schwab läuft bei der Jugend-EM über die 1500 Meter zur Bronzemedaille.

 

Aktuell sind besonders die Speedy-Eigengewächse Aleksandar Gacic, Paul Specht und und Birgit Hamanns Tochter Jacqueline präsent. Sie alle gehören der Jugend oder Juniorenklasse an, internationale Einsätze sind in Reichweite. Auch das „Grüne Band“ des DOSB, welches der VfL 2009 für seine herausragende Jugendarbeit gewann, begründet sich nicht zuletzt auf den Aktivitäten von „Speedy“.