Hauptverein: 7 Monate Flaute, 5 Monate laues Lüftchen
Gesellschaft ohne Sport – wo sind die Perspektiven? / VfL Sindelfingen, SV Böblingen, Landessportbund und Politik üben das Zusammenspiel
Raus aus dem Lockdown, rein in die Trainingsklamotten: Der Sport sehnt sich nach Licht am Ende des Tunnels. Es gibt Signale, dass die Übungsleiterpauschale verlängert und dabei noch angehoben werden könnte. Auch von der nächsten Konferenz der Ministerpräsidenten erhoffen sich die Sportler Perspektiven. Um diese geht es bei einem virtuellen Doppelpass zwischen Sport und Politik.
Wenn eine Podiumsdiskussion nicht geht, schaltet der Böblinger SPD-Landtagskandidat Florian Wahl (Bild: z) die virtuelle Zoomkonferenz auf seinem Kanal frei. Mit im Spiel: Dr. Heinrich Reidelbach als Präsident des VfL Sindelfingen, Dr. Alexander U. Kayser aus dem Vorstand der SV Böblingen, Anne Köhler als Vorsitzende der Württembergischen Sportjugend und Vereinsjugendsprecherin im VfL Sindelfingen sowie der SPD-Generalsekretär und Landtagsabgeordnete Sascha Binder. Dieser sagte fünf Wochen vor der Kommunalwahl: „Der Sport an sich ist unstrittig und taugt nicht als Wahlkampfthema.“
HIer geht es direkt zur von Florian Wahl moderierten Diskussion
Die Lage:
Die Reichweite des Themas wird alleine an einer Zahl deutlich: Für die Württembergische Sportjugend vertritt Anne Köhler die Interessen von 858 000 jungen Menschen in 5700 Mitgliedsvereinen. Anne Köhler (Bild: z): „80 Prozent aller Vereine haben große finanzielle Schwierigkeiten.“ Die Pandemie habe alle Vereine in mehrfacher Weise finanziell stark getroffen. „Am Freitag, den 13. März hatten wir die erste Krisensitzung, am 14. März war alles geschlossen, insgesamt waren es sieben Monate Lockdown. Außer der Veranstaltungsbranche und der Kultur ist mir keine andere Branche eingefallen, die sieben Monate gar keine Geschäftsgrundlage, keinen Betrieb hatte.“ Da werde deutlich, dass die Vereine und die Verbände Hilfe und Unterstützung brauchen.
Dr. Heinrich Reidelbach (Bild: z) dröselt das Thema für den VfL Sindelfingen auf: Auf der einen Seite gibt es den Hauptverein mit der VfL-Sportwelt, dazu 28 eigenständige Abteilungen, die sehr stark ehrenamtlich organisiert sind. „Ich war sehr positiv überrascht über das große Engagement in der ersten Welle mit sehr kreativen und vielen Ideen, um den Sport aufrecht zu erhalten. Das hat sehr gut funktioniert bei der Wieder-Öffnung. Der Sport war kein Hotspot. Aber im zweiten Lockdown geht langsam die Kraft aus. Unruhe und Unmut nehmen zu, dass wir unseren geliebten Sport nicht treiben können. In der VfL-Sportwelt haben wir die größten finanziellen Einbußen.“
Ähnlich sind die Strukturen bei der SV Böblingen mit dem Paladion, der Bewegungskita und den Abteilungen. Dr. Alexander Kayser (Koch Photography/A): „Wir hatten große Pläne, einen Neubau mit Bewegungskita II, das Jubiläum 75 Jahre SVB mit riesen Partywoche am Böblinger See. Der erste Lockdown hat uns hart getroffen.“ Ohne Hauptamt sei es unmöglich gewesen, den Kurs zu halten. Im Ehrenamt und den Abteilungen sei es ein Kraftakt gewesen, der nicht zu meistern war. „Expandieren, wachsen, etwas gestalten für die Gesellschaft und die Stadt: Davon kann überhaupt keine Rede mehr sein. Wir werden locker 7 Prozent der Mitglieder verlieren. Ich bin super skeptisch, dass wir nach der Pandemie wieder nach oben schnellen. Es wird Jahre brauchen, bis wir auf dem Niveau von Anfang 2020 sind“, so Dr. Alexander Kayser.
Sascha Binder, der selbst im Sport verwurzelt ist, kennt diese Sorgen: „Bei den Finanzen ist vieles weggefallen, die Hilfen sind noch nicht abgeflossen. Da müssen wir besser werden. Im Landtag diskutieren wir darüber, einen Nachschlag zu geben. Die Landesregierung hat den Sport auch bei Jugendfreizeiten und Jugendangeboten im Regen stehen lassen. Die Richtlinien und Vorgaben sind viel zu spät gekommen, viele hatte da schon abgesagt.“
Die Zuschüsse:
Dr. Alexander U. Kayser: „Die Hilfen sind Pflaster für einen Patienten, dem es miserabel geht. Wir halten diesen Patienten gerade so am Leben. Schwimmer haben riesige Rückgänge in den Einnahmen. Ohne Hilfe führen die roten Zahlen quasi in die Insolvenz, so können sie zumindest überleben.“ „Finanziell gesehen lebt der Patient noch, aber er hat keine Reserven mehr, auf die er zurückgreifen kann“, sagt Dr. Heinrich Reidelbach.
Die Forderung:
„Für die Zeit nach Corona habe ich große Erwartungen an die Politik in Baden-Württemberg. Es muss dringend der Solidarpakt verabschiedet werden. Wenn das nicht geschieht, haben wir kein Corona-Problem, sondern ein strukturelles und generelles Problem. Meine große Befürchtung ist, dass unsere ehrenamtlichen Strukturen basierend auf ehrenamtlichen Engagement am meisten leidet. Es gab sowieso in den letzten Jahren immer mehr Bürokratie und Vorschriften, die das Ehrenamt gebeutelt hat“, sagt Dr. Heinrich Reidelbach.
Anne Köhler: „Dass in sieben Monaten gar nichts lief, heißt ja nicht, dass in den andere fünf Monaten der Sportbetrieb wie vorher war. Das Gegenteil ist der Fall.“ In 28 Wochen gab es 14 Sportverordnungen. Die Bitte an die Landespolitik ist, dass wenn es wieder losgehen kann, „und wir hoffentlich nicht wieder 14 Verordnungen in diesem Jahr lesen müssen. Das ist eine Zumutung. Der Anspruch des WLSB ist, den Vereinen als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen. Aber viele Ehrenamtliche sagen, da mache ich erst einmal gar nichts, denn das ist alles viel zu aufwendig. Oder wir machen es irgendwie“.
Der Plan:
Sascha Binder hofft, dass der bei Ministerpräsidentenkonferenz nächste Woche auch Öffnungsperspektiven gemacht werden. „Dann haben wir einen Plan, wann es für die Vereine wieder los geht. Mit dem Solidarpakt drei haben wir vor fünf Jahren mit der Erhöhung der Übungsleiterpauschale einen ganz guten Abschluss gefunden. Die Signale sind so, dass es noch vor der Wahl zu einem Abschluss und zu einem Aufschlag kommt. Aber Problem sind Co-Finanzierungen durch Kommunen.“ Es geht also auch darum, dass Kommunen in der Lage sind, da mitzumachen.
Bild: So sah Sport im ersten Lockdown aus: Benjamin Wunsch und Plüschbär Emil begrüßten die Kinder der Kindersportschule des VfL Sindelfingen. Dann geht es los. Bild: z
Quelle: SZ/BZ-Online