Handball: „In meinem Kader sind ausschließlich gute Spieler“
Das Sportgespräch: Ingo Krämer Trainer der Verbandsliga-Handballer der HSG Sindelfingen/Böblingen, macht sich trotz der Abgänge keine Sorgen
Im SZ/BZ-Interview zieht er Bilanz und wagt auch einen Blick in die nähere Zukunft.
Seit fast einem halben Jahr können Sie den Sport, den Sie seit frühester Kindheit ausüben, coronabedingt nicht mehr praktizieren. Wie läuft denn das Leben so ganz ohne Handball?
Ingo Krämer: „Ich liebe diesen Sport und den damit verbundenen Wettkampf, das fehlt mir absolut. Auch die sozialen Kontakte vermisse ich. Dafür bin ich ausgeschlafener und meine Familie hat mehr von mir. Das ist während des Lockdowns auch bitter nötig.“
Da die Saison bereits abgebrochen und damit annulliert wurde, geht es erst ab kommendem September wieder um Punkte in der Verbandsliga. Läuft man denn in dieser langen Zeitspanne nicht auch Gefahr, irgendwann mal den Bezug zum Handball zu verlieren?
Ingo Krämer: „Für mich persönlich besteht die Gefahr nicht, dafür ist er mir zu wichtig. Ich verfolge die Bundesliga, auch die Weltmeisterschaft habe ich angeschaut. Darüber hinaus habe ich diverse Kanäle auf sozialen Netzwerken abonniert, die mir meine essenzielle Dosis Handball liefern.“
Machen Sie sich eigentlich Sorgen um den Fitnesszustand Ihrer Spieler?
Ingo Krämer: „Eigentlich nicht. Ich weiß von allen, dass sie fleißig sind und sich fit halten. Das Pensum und die Intensität von 3 bis 4 Mal 90 Minuten Handballtraining erreicht man im Heimtraining aber sicherlich nicht.“
Nach dem ersten Lockdown verlor die HSG Böblingen/Sindelfingen in Urs Bonhage und Frederik Todt zwei Führungsspieler. In den vergangenen Wochen kamen mit Torhüter Edis Camovic sowie Abwehrchef Markus Schwab zwei weitere hochkarätige Abgänge hinzu. Ist die HSG als Verein nicht mehr attraktiv genug für gute Spieler?
Ingo Krämer: „Diese Frage empfinde ich als abschätzig den anderen Spielern gegenüber. In meinem Kader sind immer noch ausschließlich gute Spieler, da muss ich gar keine Namen nennen. Die neuesten Abgänge haben außerdem nichts mit der Attraktivität der HSG zu tun. Bei Edis sind es die privaten Umstände, die einen Wechsel für ihn alternativlos machen, und Markus beendet seine Karriere aus Rücksicht auf seinen Körper. Zweifelsohne werden sie uns spürbar fehlen. Ich bin mir aber sicher, dass beide die HSG trotzdem als „attraktiven“ Verein beschreiben würden. Die Erstgenannten konnten statt in der 6. Liga in der 4. Liga spielen. Es ist doch nachvollziehbar, dass Angebote von oben immer verlockend sind und sie diese angenommen haben.“
Wie wollen Sie denn zur neuen Runde diese Abgänge auffangen?
Ingo Krämer: „Zum Einen vertrauen wir den Spielern, die wir aktuell haben und wollen ihre Fähigkeiten noch weiterentwickeln. Zum Anderen halten wir Augen und Ohren offen, ob es auf dem Markt Spieler gibt, die uns qualitativ weiterbringen können. Man muss aber ehrlich sagen, dass die wenigsten Spieler den Verein wechseln wollen, nachdem sie nur null bis drei Spiele in der Saison absolviert haben. Dazu haben wir tatsächlich mit unserem Tabellenplatz nicht die allergrößte. Zugkraft. Daher möchte ich die Kooperation mit der zweiten Mannschaft verbessern, um vermehrt Talente aus dem eigenen Verein an die erste Mannschaft heranzuführen.“
Generell scheint sich die HSG Böblingen/Sindelfingen nach zwischenzeitlichem Hoch, verbunden mit dem Aufstieg in die Württemberg-Liga, wieder rückwärts zu entwickeln. Täuscht dieser Eindruck?
Ingo Krämer: „Wenn man die Entwicklung des gesamten Vereins sieht, täuscht dieser Eindruck: Die Frauen 1 sowie die Männer 2 sind vergangene Saison aufgestiegen, das sind große Erfolge für den Verein. Wir als Männer 1 hatten zuletzt nicht die besten Ergebnisse, aber wir waren noch in einem Findungs- und Festigungsprozess nach den personellen Veränderungen und der Eingliederung in die neue Verbandsliga. Man kann nicht erwarten, dass es immer nur aufwärts geht, aber es ist klar, dass wir die Talfahrt stoppen müssen, um mittelfristig wieder nach oben schauen zu können.“
Vor dem ersten Lockdown Tabellenletzter in der Württemberg-Liga, reihte sich ihre Mannschaft in der neu eingeführten Verbandsliga bis zum Abbruch der Runde erneut ganz unten ein. Könnte man die HSG als Nutznießer der beiden Lockdownphasen einstufen?
Ingo Krämer: „Wir freuen uns nicht darüber, dass die Runden abgebrochen wurden. Unsere Leistung im letzten Spiel vor dem Lockdown gegen Tabellenführer Remshalden war super und ich bin sicher, dass bald darauf die ersten Punkte gefolgt wären. Meine Spieler spielen hauptsächlich aus Spaß am Handball und wollen zeigen, dass sie mehr drauf haben als den letzten Tabellenplatz. Wir haben nichts davon, wenn wir uns nicht im Training und im Wettkampf verbessern können. Niemand ist Nutznießer von einer Pandemie, außer vielleicht Maskenhersteller.“
Reicht die Qualität Ihres Teams aus, um sich in naher Zukunft wieder etwas nach oben zu orientieren?
Ingo Krämer: „Die Qualität ist da und die jungen Spieler haben noch enormes Entwicklungspotenzial, aber dazu benötigen sie viel Trainings- und Spielzeit. Realistischerweise sollten wir jetzt nicht den Aufstieg als Ziel ausgeben, da gibt es Mannschaften, die einfach stärker besetzt sind.“
Sie selbst haben als spielender Co-Trainer unter Harry Sommer begonnen, dann den ehemaligen Coach als Spielertrainer abgelöst, ehe sie sich komplett aufs Trainieren verlegt haben. Wie geht es mit Ihnen persönlich weiter?
Ingo Krämer: „Das stimmt so nicht, Spielertrainer war ich nie. Ich habe nur, als Platz auf dem Spielberichtsbogen war, die 7-Meter geworfen, da die anderen Schützen stark verunsichert waren. Nach meinem Achillessehnenriss habe ich leider nicht mehr das athletische Niveau erreicht, um der Mannschaft auf dem Spielfeld helfen zu können. Von daher ist die Antwort klar: Ich bin nur noch Trainer.“
Bild: HSG-Coach Ingo Krämer will den Austausch mit der zweiten Mannschaft künftig verbessern. Bild: Zvizdiç
Quelle: SZ/BZ-Online