88 Vereine wenden sich an den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, damit die in der Schule getesteten Kinder auch im Februar noch am Sportbetrieb im Verein teilnehmen können
Sport und Gesellschaft. Für die Schule getestet, im Verein außen vor: Laut aktueller Corona-Sportverordnung zieht das Land die Zügel ab Februar an. Ab da könnte auch für Schüler von 12 bis 17 Jahren die 2G- beziehungsweise 2G-plus-Regel gelten. So ist zumindest der Plan. Württembergische Sportvereine üben jetzt den Schulterschluss. Am heutigen Freitag ging ein offener Brief an den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann mit dem Appell: „Aus unserer Sicht darf es keine – auch keine mittelbaren – weiteren Einschränkungen für Jugendliche im Sport geben. Anderenfalls befürchten wir erhebliche strukturelle Schäden im ehrenamtlich organisierten Vereinssport. Die niederschwellige Verlässlichkeit und Kontinuität der Sportangebote für Jugendliche muss weiterhin Vorfahrt genießen.“
Der Auslöser:
Im Wortlaut heißt es aktuell auf der Internetseite des Landes: „Die Landesregierung geht davon aus, dass auch alle Jugendlichen ab 12 Jahre bis zum Ablauf dieser nun nochmals verlängerten Frist die Möglichkeit hatten, sich impfen zu lassen.“ Demnach haben nur noch bis zum 31. Januar 2022 haben alle noch nicht vollständig immunisierten Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 17 Jahren die Möglichkeit, über tagesaktuelle Antigen-Schnelltests Zutritt zu allen 2G-Einrichtungen zu erhalten.
Die Reaktion der Vereine:
Nachdem dies am Sonntag verkündet wurde, starteten Funktionäre von 15 württembergischen Großvereinen am Mittwoch ihre Zoomkonferenz. In der Regel gibt es virtuelle, hybride oder persönliche Treffen etwa einmal im Monat, dieses Mal hatte das besondere Brisanz. Nach dem Meeting steckten Harald Link als Vereinsmanager der SV Böblingen, Timo Petersen als Geschäftsführer des VfL Herrenberg und der Geschäftsführer der MTG Wangen, Andreas Schröder-Quist, die Köpfe zusammen und verfassten den Brief an Winfried Kretschmann mit der nachdrücklichen Bitte, die bisherigen Regeln für Jugendliche weiter beizubehalten.
Harald Link war einer der treibenden Kräfte, „weil das unseren Verein in vielen Bereichen trifft. Sei es als Bildungsträger über die Kita, den Kindersportbereich mit seinen 1100 Mitgliedern zum Zeitpunkt vor der Pandemie oder über unsere unfassbar gute Jugendarbeit. Ich fühle mich in der Pflicht, den Kindern den Zugang zum Sport zu ermöglichen und es tut mir weh, wenn unsere Systeme nicht mehr funktionieren sollen. Dabei sprechen wir bewusst nicht nur von den Größeren, sondern wollen auch den kleineren Vereine eine Stimme geben.“
Am Donnerstag war der Brief formuliert, am Freitagmorgen um 11 Uhr standen 88 Vereine darunter, um diesem Nachdruck zu geben. „Ich sehe uns nicht in der grundlegenden Opposition, aber es geht darum, bei den Entscheidungsträgern ganz schnell den Blick zu weiten“, sagt der studierte Politikwissenschaftler und Soziologe Harald Link, der nicht verstehen kann, „dass getestete Kinder morgens in der Schule beieinander sitzen und nachmittags nicht zum Sport gehen sollen“.
Der Landessportverband:
Unmittelbar nach der letzten Sportverordnung hatte sich auch der Landessportverband Baden-Württemberg positioniert: „Wir gehen davon aus, wenn Kinder und Jugendliche morgens in die Schule gehen dürfen, dass sie abends auch zum Training in den Sportverein gehen können“, so die LSV-Präsidentin Elvira Menzer-Haasis. Diesen Worten wollen die Vereine jetzt mit ihrer Initiative Nachdruck verleihen. Die Verfasser wenden sich dabei nicht grundsätzlich gegen eine 2G- oder auch 2G+-Regelung für die 12- bis 17-Jährigen. Aber alleine schon der Zeitplan scheint kaum einzuhalten.
Der aktuelle Stand:
Aktuell sind etwa die Hälfte der Jugendlichen vollständig geimpft. Bis Ende Januar sei aufgrund der bevorstehenden Weihnachtsfeiertage bestenfalls eine Impfquote von 60 bis 65 Prozent zu erwarten. Dazu kommt die Immunisierungsdauer von sechs bis acht Wochen und die Knappheit an Impfstoffen, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auch schon für das gesamte erste Quartal 2022 in den Raum stellte.
Auf der anderen Seite „dürfen Minderjährige nicht selbst entscheiden. Es gibt Kinder, die sich impfen lassen würden, ihre Eltern sind aber dagegen. Ich möchte nicht den Stab brechen, aber auch diesen Fakt muss man berücksichtigen“, sagt Harald Link. Folglich werde mindestens jeder dritte Jugendliche ab 1. Februar 2022 vom Vereinssport ausgeschlossen sein. Stand Donnerstag leben laut statistischem Landesamt in Baden-Württemberg 625 000 Jugendliche von 12 bis 17, zwei Drittel davon, also knapp 420 000, sind in Vereinen verschiedenster Arten organisiert. Sollte es bei der aktuellen Alarmstufe bleiben oder sich die Situation noch weiter verschärfen, wären viele davon erst einmal außen vor.
Die Unterzeichner des offenen Briefs nehmen die Schul- und Sportministerin Theresa Schopper beim Wort, die sagte: „Jetzt haben Kinder und Jugendliche Vorfahrt.“ Sollte das nicht gelten, sieht Harald Link große Probleme. Nur ein Beispiel: „Der Anteil der psychischen Erkrankungen unter den bis 17-Jährigen ist in der Pandemie um acht Prozent gestiegen. Dabei sind hier nur diejenigen eingerechnet, die in Behandlung sind und kassenärztlich abgerechnet werden. Sportvereine nehmen als Rückzugsorte zentrale Rollen ein.“
Dazu kommen sportliche und gesundheitliche Faktoren, aber auch rein organisatorische: „Wenn nur noch fünf Kinder ins Hockey-Training kommen dürfen, werden auch diese bald die Lust verlieren. Deshalb muss ich irgendwann gezwungenermaßen entscheiden, welche Angebote ich überhaupt machen kann“, sagt Harald Link. Der Trainingsbetrieb werde schwierig, der Mannschaftswettkampf unmöglich.
Mit gleicher Stimme spricht auf Nachfrage der SZ/BZ auch der VfL Sindelfingen, wobei die stellvertretende Geschäftsführerin Anne Köhler einen weiteren Punkt aufs Tableau bringt: „Alles, was organisiert ist, bringt eine gewisse Sicherheit. Das gilt beispielsweise für die Kontakt-Nachverfolgung.“ Oder anders: Im Verein seien auch in diesen Zeiten die Kinder besser aufgehoben als sonst wo.
Das Fazit:
Deshalb kommen die unterzeichnenden Vereine zum Schluss: „In Anbetracht der Rahmenbedingungen erscheint es uns verhältnismäßiger, im Januar bei einer verbesserten Informationslage hinsichtlich Impfstoffmenge, Impfquote von Jugendlichen nach den Feiertagen und pandemischer Entwicklung auf Landesebene die dann angemessenen Schritte zu entscheiden.
Der Sport und die ehrenamtlich organisierten Sportvereine, vor allem aber die Jugendlichen, haben schon genug in
dieser Pandemie gelitten.“
Die Unterzeichnenden Vereine:
1. FC Altburg, 1. FC Donzdorf, Aalener Sportallianz, Baseball- und Softballclub Herrenberg, BewegtEuch, DAV Sektion Rottenburg, DAV Sektion Schwaben, DAV Sektion Stuttgart, DAV Sektion Tübingen, DSV Skischule Sindelfingen, FC Alzenberg-Wimberg, FC Rottenburg, FC Wangen, FSV Sindelfingen, Hockey-Club Ludwigsburg, IBM Klub Böblingen, Judo-Club Herrenberg, KINDERSPORTSCHULENaktiv, MTG Wangen, MTV Stuttgart, MTV Ludwigsburg, Reit- und Fahrverein Herrenberg, Reiterverein Sindelfingen, SG Niederwangen, Skiverein Bad Teinach, SC Staig, SF Gechingen, SG Schorndorf, SportKultur Stuttgart, SV Salamander Kornwestheim, SV Sillenbuch, SV Böblingen, SpoGe Filderstadt, SportVG Feuerbach, Spvgg Besigheim, Spvgg Rommelshausen, SSV Ulm, SSV Zuffenhausen, Stadtverband für Sport und Kultur Kornwestheim, SV Affstätt, SV Fellbach, SV Kirchzarten, SV Magstadt, SV Oberjesingen, SV Pattonville, SV Vaihingen, SV Weiler, SV Wendelsheim, TC 1903 Wangen, TC Blau-Weiß Calw, TC Maichingen, TSV Altensteig, TSV Bietigheim, TSV Dagersheim, TSV Haiterbach, TSV Heumaden, TSV Hirsau, TSV Hüttlingen, TSV Künzelsau, TSV Kuppingen, TSV Schmiden, TSV Wiernsheim, TSV Wolfschlugen, TSF Ditzingen, TSG Germania 1889 Dossenheim, TSG Heilbronn, TSG Reutlingen, TuS 1899 Freiberg, TSV Calw, TSV Süßen, TG Biberach, TG Böckingen, TG Tuttlingen, TV Rottenburg, TV Altburg, TV Cannstatt, TV Nellingen, TV Oeffingen, TuS Ergenzingen, TV 1846 Bretten, TV Darmsheim,TV Haslach, TV Stammheim, VfL Herrenberg, VfB Friedrichshafen Volleyball, VfL Sindelfingen, VfR Süßen, Landesverband BadenWürttemberg des DAV
Bild: „Darf ich mitspielen?“ Kinder und Jugendliche haben in der Pandemie schon schwer gelitten. Jetzt droht die nächste Hürde. Bild: Soleg / Adobe Stock
Quelle: SZ/BZ-Online