Boxen: Sindelfingen: Wo der Ring große Kraft verleiht

Die Werte der Boxer

Ausdauer, Mut, Kraft und Integration par excellence, aber auch Achtung, Anerkennung und Disziplin – das gibt es bei den Boxern des VfL Sindelfingen.

Boxen. Im Sindelfinger Boxsport-Center direkt am Badezentrum herrscht an diesem Abend ein reges Treiben. Etwa 20 Sportler folgen den gut hörbaren Anweisungen von Trainer Adem Kartal, der schon beim Aufwärmtraining für Puls sorgt. „In den Zeiten vor Corona waren es deutlich mehr Teilnehmer, aber das pendelt sich bald wieder ein“, sagt Sportwart Thomas Kugler.

Wie bei vielen anderen Vereinen ging die Corona-Pandemie an der Sindelfinger Boxabteilung nicht spurlos vorbei. „Im letzten Jahr hatten wir 25 Austritte, das sind zehn Prozent unserer Mitglieder“, sagt Thomas Kugler. Das sei zwar frustrierend, werfe die Abteilung aber nicht um. „Die Defizite in den Mitgliederzahlen haben wir zu einem großen Teil schon wieder kompensiert, es schneit immer mal wieder jemand bei uns rein. Aber sportlich gilt es noch einiges aufzuholen.“

Durch Corona zu viel auf den Rippen

Der Sindelfinger, der seit nunmehr knapp 40 Jahren der VfL-Boxabteilung die Treue hält, startet einen Erklärungsversuch. „Die meisten haben während der Corona-Lockdowns halt nichts gemacht und haben jetzt ein paar Kilogramm mehr auf den Rippen. Die körperlichen Defizite sind oft deutlich sichtbar. Über die psychischen wird gar nicht erst gesprochen.“

Die Tatsache, dass vielen jungen Leuten während der Pandemi nicht nur der Sport, sondern auch das soziale Miteinander abhandenkam, würde unterschätzt. „Mit den gemeinsamen Unternehmungen in den Vereinen wächst ja auch die soziale Stärke jedes Einzelnen.“ Thomas Kugler weiß indes, dass er mit dieser Problematik in den letzten Monaten nicht allein steht.

Neue Talente sind da

Am zweiten März-Wochenende finden in Eggenstein-Leopoldshafen die Baden-Württembergischen Meisterschaften der Jugend statt. „Normalerweise stellen wir da immer vier bis fünf Talente. Diesmal ist keines vom VfL dabei, was schade ist“, sagt Thomas Kugler, der derzeit zusammen mit sieben weiteren Trainern im und um den Ring aktiv ist. Und verlorenes Terrain möglichst schnell wieder aufholen will. „Neue Talente sind da, aber bei Neueinsteigern dauert es mindestens sechs Monate, bis sie fit für den Wettkampf sind.“ Auch bei den schon länger aktiven Boxern würde es noch eine gewisse Zeit benötigen, bis ursprüngliche Ausdauer, Kraft und nicht zuletzt das Körpergewicht wieder erreicht seien. „Wir wurden durch die Pandemie zurückgeworfen, aber das kriegen wir schon wieder hin.“

Bald wieder – so ganz wie früher – uneingeschränkt dem Boxsport nachgehen zu können, sieht der 54-jährige als essenziell an. „Koordination, Kraft, Ausdauer, räumliches Vorstellungsvermögen und nicht zuletzt Mut, das Boxen gibt einem doch sehr viel. Jugendlichen wie Erwachsenen gleichermaßen“, setzt Thomas Kugler zu einem Loblied auf seine Sportart an. Zudem werde hier in Sindelfingen „Integration par excellence“ betrieben. „Egal, wie manche Nationen politisch zueinanderstehen, hier in unserem Boxcenter war unter den jeweiligen Sportlern immer Ruhe“, sagt Kugler.

Strafe und neue Chance

„Junge Mitglieder bekommen bei uns auch die Grundregeln der Gesellschaft beigebracht, beispielsweise Disziplin, Achtung, Anerkennung und Pünktlichkeit. Man muss sich einordnen, keiner kann ausscheren“, ergänzt der stellvertretende Abteilungsleiter. Und erwähnt im gleichen Atemzug, dass es passieren kann, dass jemand wegen Disziplinlosigkeit kurzerhand die heiligen Boxhallen verlassen muss. „Es liegt mir aber besonders am Herzen, dass derjenige beim nächsten Mal gerne wiederkommen darf.“

Fehler machen und vielleicht mal auf die sprichwörtliche Schnauze fallen, die menschlichen Abgründe sind gerade dem Boxsport nicht fremd. „Wichtig ist, dass man immer wieder aufsteht und daraus lernt“, stellt Thomas Kugler klar. Und zitiert in diesem Zusammenhang einen wichtigen Spruch: Dem Sieger die Ehre, dem Verlierer die Achtung. „Jeder muss sich verinnerlichen, dass der sportliche Verlierer menschlich immer noch so viel wert ist wie der Sieger. Und so gibt man sich hinterher wieder die Hand.“

Seit seinem 15. Lebensjahr geht Thomas Kugler, ein Ur-Sindelfinger, im Boxcenter aus und ein. „In jungen Jahren habe ich auch mal Tischtennis gespielt, war in der Schwimmabteilung und beim Judo. Meine Ausbildungsstätte war gleich neben der Turnhalle in der Gartenstraße, wo die Boxer früher trainierten. Ein Arbeitskollege nahm mich ins Training mit, seitdem bin ich dabei“, erinnert sich Kugler. Bis zu einem Deutschen Junioren-Vizemeistertitel im Halbmittelgewicht hat er es gebracht. Seit einigen Jahren lässt er es ruhiger angehen, konzentriert sich in der Abteilung mehr auf die Trainerrolle und auf organisatorische Aufgaben. Nicht ohne Stolz erzählt er, dass in der Coronazeit mit Dimitrij Svinarskij und Ilkay Girmis zwei Boxer aus den eigenen Reihen den C-Lizenz-Trainerschein gemacht haben.

Mitmachen

Ob Boxen aus Lust und Laune, einfach nur zum Fithalten oder mit Wettkampfgedanke, die Boxabteilung beim VfL Sindelfingen freut sich immer über neue Gesichter. Fragen beantwortet Abteilungsleiter Rolf Wojack unter rolf_wojack@web.de.

Der Weg der Sindelfinger Boxer

Die Boxabteilung des VfL Sindelfingen wurde am 29. November 1958 gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern zählen Heinrich Siring, Fritz Stepper, Peter Uhlig, Hans Bartetzko, Dieter Krehl, Lothar Weiß, Julius Schäfer und Horst Binanzer.Nachdem die formellen Details geklärt wurden, fand das erste Training der neuen Boxsportabteilung am 20. Januar 1959 in der Turnhalle in der Gartenstraße statt.1985 wurde die neue Trainingshalle nach mehr als 1500 Stunden Eigenleistung der Box-Abteilungsmitglieder eingeweiht. Seitdem findet das Training im Box-Sport-Center am Freibad statt. Durch die hervorragende Ausstattung mit Sportgeräten wurde auch bald eine Kraft-/Fitnessgruppe innerhalb der Abteilung gegründet.Inzwischen kann die Boxsportabteilung des VfL Sindelfingen diverse nationale sowie internationale Erfolge vorweisen. Dazu zählen neben den Gewinnen der baden-württembergischen und der deutschen Meisterschaften auch zig Turniere, sowie die Teilnahme bei den Europameisterschaften und mit Dirk Graf alias Vahagn Sahakjan der Teilnahme bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro.

Bild: Die Trainer Adem Kartal (links) und Thomas Kugler zeigen, worauf es ankommt. Bild: Holzapfel

Quelle: SZ/BZ-Online