VfL: Der VfL Sindelfingen in der Nazi-Zeit

Unterrieden-Gymnasium holt Geschichtspreis

Sechs Unterrieden-Gymnasiasten werden für ihr Hörspiel des fiktiven Radiosenders „Mystery History“ beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten ausgezeichnet.

Sportpolitik. „Das Ziel des VfL ist die Wehrhaftmachung und Ertüchtigung der Deutschen Jugend.“ Dieser Satz stammt von der Gründungsveranstaltung des Vereins für Leibesübungen Sindelfingen im Januar 1937.

Viele Deutsche hegen die Hoffnung, dass sich ihre Vorfahren nicht von der Propaganda der Nationalsozialisten beeinflussen ließen und sie zu den Gegnern des Nazi-Regimes zählten. Die ehemaligen Mitglieder des VfL können dieser Hoffnung jedoch kein eindeutiges Fundament geben, gleichzeitig gibt es Ansätze. Das stellen sechs Schüler des Gymnasiums Unterrieden in Sindelfingen bei ihrer Recherche fest. Die Zehntklässler produzierten im Rahmen des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten einen historischen Radiobeitrag des fiktiven Radiosenders „Mystery History“. Grundlagen sind das Stadtarchiv, Quellen des Vereins sowie Zeitzeugeninterviews. Für ihr Projekt „Der VfL Sindelfingen – ein Instrument der Nazis?!“ schlüpfen se in sechs Sprecherrollen und gewinnen den ersten Preis auf Landesebene und Einblicke in die Geschichte des eigenen Sportvereins. In Baden-Württemberg hatten 266 Schüler 115 Beiträge eingereicht.

Mystery History: Der VfL Sindelfingen – ein Instrument der Nazis?!

Passend zum Motto des Wettbewerbs „Sport macht Gesellschaft“ finden Amelie Weber, Lara Butsch, Jule Respondek, Neeshka Chavhan, Lilly Scholz und Jarno Adam heraus, dass der VfL Sindelfingen für die Bildung der Einheitsgesellschaft während der NS-Zeit eine tragende Rolle gespielt hat. Das Ziel der Nazis war die Gleichschaltung aller Institutionen. Dass Sindelfingen vor 1933 drei Sportvereine hatte, war der Nationalsozialistischen Partei Deutschland (NSDAP) ein Dorn im Auge. Viele Sindelfinger fühlten sich durch ihre Rolle als einfache Arbeiter im Daimlerwerk mit der SPD verbunden. Die sozialdemokratische Ausrichtung der freien Turnerschaft endet daher bereits im April 1933 zur Auflösung des Arbeiter-Turnvereins.

Gründung des Vereins für Leibesübungen

Die beiden übrigen Vereine, der Sindelfinger Turnverein und der Turnerbund, werden in den folgenden Jahren ständig zur „freiwilligen Vereinigung“ gedrängt. Als Grund wurde der „Bekämpfungszustand“ genannt, der die Vereine von großen sportlichen Erfolgen abhalten würde. Die NSDAP stört sich außerdem daran, dass der Vorsitz beider Institutionen nicht durch Parteimitglieder besetzt war. Die beiden Organisationen geben dem wachsenden Druck im Januar 1937 nach und werden im „Verein für Leibesübungen“ zusammengeführt. Der Name leitet sich gemäß dem Gleichschaltungsgedanken vom Deutschen Reichsbund für Leibesübungen (DRL) ab. Dessen Flagge muss der neugegründete Verein ebenfalls übernehmen.

Doch schon vor der Zusammenführung verlieren die beiden Sindelfinger Sportorganisationen zunehmend ihre Unabhängigkeit. Ab 1934 müssen alle Sportvereine dem DRL angehören. Im Frühling 1935 unterzeichnen die Vereine die „Einheitssatzung“ des DRL. Diese ermöglicht eine einheitliche Strukturierung aller deutschen Sportstätten. Dazu kommt, dass alle Sportvereine von der Hitlerjugend (HJ) dominiert werden. Der Schwerpunkt beider Organisationen liegt auf dem Sport. Durch die verpflichtende Mitgliedschaft in der HJ ab 1939 für alle 10 bis 18-Jährigen halbiert sich die Zahl der Mitglieder im VfL jedoch bis Kriegsende.

Der VfL hat auch deswegen seine Konflikte mit der HJ. Trotzdem spricht er sich für den Totalitätsanspruch der Parteiorganisation aus. In einem Brief der Vereinsführung heißt es, dass die Hitlerjugend als „Führer der gesamten Jugend“ anerkannt werde. In der Zeitung werden Unstimmigkeiten des VfLs mit den Mitgliedern der NSDAP verschwiegen, um das Vertrauen in „den Führer“ nicht zu gefährden.

Sport für den erfolgreichen Krieg

Für die Nazis sind Sportvereine wichtige Angriffspunkte, um ihr Gedankengut unter die Leute zu bringen. Die Sportlichkeit der Deutschen ist für Hitlers Krieg ein wichtiger Faktor. So schreibt er in seinem Buch „Mein Kampf“: „Man gebe der Deutschen Nation […] sportlich tadellose Körper […] und ein nationaler Staat wird aus ihnen […] eine Armee schaffen.“ Kleine Kinder wurden bereits in der HJ oder im Sportverein auf ein Leben in Befehl und Gehorsam vorbereitet. Und bei Veranstaltungen herrschen strenge Regeln. In einer Originalquelle, einem Brief mit Bestimmungen zu einem Gausportfest 1939, stehen wörtlich unter anderem: „Pünktlichkeit und Gewissenhaftigkeit!“ und „Auf Befehl des Leiters werden die Riegen an den Platz der ersten Übung geführt.“

Der VfL spielt als vergleichsweise kleines Zahnrad eine bedeutende Rolle bei der Ausbildung der „Deutschen Volksgemeinschaft“ in Sindelfingen. Er wird 1945 im Rahmen der von den Alliierten erlassenen Kontrollratsgesetzen verboten. Im gleichen Jahr wird er unter altem Namen wiedergegründet. Die Schüler sagen im Hörspiel dazu: „Die heutigen Vereinsmitglieder sollten sich bewusst machen, woher der Name, unter dem sie heute noch starten, eigentlich kommt.“

→ Hier geht es direkt zum Hörspiel auf der Homepage des Unterrieden-Gymnasiums ←

Der Wettbewerb startet im September 2022 erneut. In dieser Runde werden die sechs Schüler des Unterrieden Gymnasiums jedoch nicht dabei sein. Jule Respondek begründet das so: „Ich denke in unserem letzten Schuljahr sollten wir uns alle auf unsere Prüfungen konzentrieren. Es war aber eine tolle Erfahrung. Vor allem weil wir uns erst durch unser Interesse an Geschichte als Gruppe zusammengefunden haben.“

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