Gerhard Müller (SVB) und Dieter Wylezich (VfL)
Die Zahlen sind seit Jahren rückläufig, sie stagnieren auf einem eher niedrigen Niveau. Der Amateurfußball lockt längst keine Zuschauermassen mehr an.
Fußball. Gewiss, bei besonderen Spielen wie in der Relegation wird auch einmal eine vierstellige Zahl an Besuchern erreicht, das ist aber eine große Ausnahme. Früher war aber einiges doch anders: Beispielsweise das Zuschauerinteresse beim Fußball, insbesondere dann, wenn es um das Derby ging zwischen dem VfL Sindelfingen und der SV Böblingen.
Mitte der 60er Jahre spielten beide Teams in der 1. Amateurliga, die Duelle bewegten die Massen. „Einige tausend Zuschauer waren immer da, einmal waren es auch etwa 5000 Zuschauer“, sagt Gerhard Müller, der von 1961 bis 1970 bei der SV Böblingen spielte. Diese Zahl habe damals zumindest Willy H. Stengel geschrieben. „Vielleicht hat er auch übertrieben“, sagt der 79-jährige Müller schelmisch, Stengel war jahrelang als Reporter Wegbegleiter der Böblinger Kicker.
„Im Vorfeld war das Derby in der Stadt das Thema“, sagt Dieter Wylezich, er spielte von 1962 bis 1982 für den VfL Sindelfingen. Die Kicker wurden angesprochen, beim Bäcker oder Metzger, auf der Arbeit, auf der Straße. „Als Fußballer war man schon bekannt, Böblingen war ja nicht so groß“, sagt Müller, Dieter Wylezich ergänzt: „Beim Daimler war das Derby ein Woche lang ein Thema, dort haben ja viele aus Sindelfingen und aus Böblingen gearbeitet.“
So groß die Rivalität der Vereine war, so fair war der Umgang der Spieler miteinander. Klar, auf dem Feld schenkten sie sich nichts. Es ging um zwei Punkte, es ging aber auch darum, nicht monatelang eine Niederlage vorgehalten zu bekommen.
Und es ging für die Fans um den aufrechten Gang nach Hause: Die Brücke am Goldberg verband schon damals beide Städte. Etliche der Zuschauer nutzten sie auf dem Weg ins Stadion, ob nach Böblingen oder nach Sindelfingen, und auch zurück. Die Anhänger desunterlegenen Teams ließen auf dem Heimweg den „Riassl nahenga“. Frei übersetzt: Der Kopf hing runter, wobei „Riassl“ schwäbisch für Nase ist. Daher hieß und heißt der Überweg im Volksmund auch „Elefantenbrückle“.
„Die vielen Zuschauer waren für uns Spieler natürlich ein riesiger Ansporn“, sagt Dieter Wylezich, „es waren viele Emotionen im Spiel.“ Und damals seien die Zuschauer vor allem wegen des Sports im Stadion gewesen, so Gerhard Müller. „Die haben das Spiel richtig verfolgt und waren voll bei der Sache, die habenrichtig Feuer ins Spiel gebracht.“
Der Beistand von der Kirche für den VfL
Dieter Wylezich erinnert sich daran, dass der VfL nicht nur die eigenen Anhänger im Rücken hatte, sondern auch den Beistand der Kirche. „Es kam vor, dass der katholische Pfarrer vor dem Spiel in die Kabine gekommen ist, um uns Glück zu wünschen“, erzählt Wylezich. Womöglich schickte er auch ein Gebet in Richtung Himmel.
Ein Spiel hat der 79-Jährige noch genau im Sinn: Am 14. Februar 1965 empfingen die Sindelfinger die Böblinger. Wylezichs Eltern wollten nicht, dass ihr Sohn mitspielt, hatte er doch am nächsten Tag die mündliche Abiturprüfung. Letztlich kickte Wylezich mit, und das mit Erfolg: Der VfL Sindelfingen siegte mit 3:0 Toren, sein Abitur bestand er auch.
Um jeden Meter wurde gekämpft
Vor der Partie trampelten die Zuschauer eng geschlossen über den Platz, um die Schneedecke einzuebnen und um dadurch die Begegnung erst zu ermöglichen.
Auf dem Feld kämpften die Akteure um jeden Meter, in einem solchen Derby eher sogarum jeden Zentimeter. Nach dem Schlusspfiff aber wurde aus den Konkurrenten auf dem Feld Kameraden im Sinne des Sports.
„Wir hatten ein ganz tolles Verhältnis zu den Böblinger Spielern“, sagt Wylezich, Gerhard Müller sagt das ebenso von den Sindelfinger Kickern. Müller: „Nach den Spielen wurde entweder in Sindelfingen oder in Böblingen gemeinsam gegessen.“ „Und es wurde getanzt“, betont Wylezich. Wer dabei die Nase vorn hatte, ist nicht überliefert.
→ SZ/BZ-Mitarbeiter Thomas Oberdorfer verbrachte seine gesamte Jugendzeit als Fußballer bei der SV Böblingen. In der Saison 1994/1995 spielte er auch eine Saison beim VfL Sindelfingen und das sogar als Kapitän.
Bild: Früher strömten die Massen zu den Derbys.
Quelle: SZ/BZ-Online