Boxen: Olympische Grüße von der Boxhoffnung

Quelle: SZ/BZ-Online
An David Graf hängt eine Menge. Eine ganze Sportart hofft darauf, dass der Sindelfinger in Rio zuschlägt. Der Boxsport schaut gespannt auf ihn und seine fünf Teamkollegen. Denn gibt es nach Peking und London zum dritten Mal in Folge keine olympische Medaille für die Deutschen, dann wird es duster. Dann rutscht das deutsche Boxen vom C- in den D-Kader. Die Folgen: „Weniger Geld, weniger Trainer, Einschnitte bei den Stützpunkten“, sagt Cheftrainer Harry Kappell. „Das wäre der Super-GAU“, redet Michael Müller, Sportdirektor beim Deutschen Boxverband (DBV), nicht um den heißen Brei herum.
David Graf ist einer der sechs Männer, die das verhindern sollen. Sein Coach aus Sindelfinger Zeiten, Thomas Kugler, ist optimistisch: „Ich traue ihm alles zu“, sagte er direkt nach der Olympia-Nominierung im SZ/BZ-Interview. Kugler hatte einst mit Uwe Sponholz und seinem VfL-Team im Boxzentrum im Freibad dem damaligen Eschenried-Realschüler alles beigebracht, um im Ring zu bestehen. Damals trug Graf noch den Namen Vahagn Sahakjan und sammelte Titel in den Jugendklassen.
Als Sahakjan in den Sauerland-Stall wechselte, nannte er sich David Graf. Nach der ersten Niederlage im elften Kampf kehrte er in die Profiabteilung des olympischen Box-Weltverbandes AIBA zurück und arbeitet seitdem wie besessen am olympischen Traum. „Der erste in der Trainingshalle, der letzte, der geht“, steht unter einem Foto, das er im sozialen Netzwerk veröffentlichte.
Der im armenischen Jerewan geborene David Graf streckt seine lange Gerade nach Edelmetall aus. Tatsächlich räumen die Fachleute dem gelernten Gärtner mit dem großen Kämpferherz echte Medaillenchancen ein. Das Problem bei der Sache nennt Harry Kappell: „Vahagn hat es in der 91-Kilo-Klasse am schwersten. Diese Klasse ist mit einer unglaublichen Qualität und Quantität besetzt.“
Trotzdem: Es ist ein Traum, der in Erfüllung gehen kann, vielleicht auch in Erfüllung gehen muss, sollte Boxen nicht an den äußersten Rand der Sportarten abrutschen. Standen in Athen 2004 zum letzten Mal deutsche Boxer auf dem Treppchen, so ist Gold noch viel länger her: Torsten May und Andreas Tews waren es 1992, die in Barcelona Titel holten. Das war bei den ersten Olympischen Sommerspielen nach der Wiedervereinigung, beide stammten noch aus dem heute komplett rasierten DDR-Boxsystem. 24 Jahre ist das her.
„Wir sind momentan nur noch sporadisch in der Weltspitze vertreten“, sagt Harry Kappell, der ein kleines, aber dennoch feines Team nach Rio schickt. Berechtigte Titelhoffnungen darf sich Artem Harutyunyan im Halbweltergewicht machen, 24-jähriger Stabsunteroffizier bei der Bundeswehr und wie Vahagn Sahakjan alias David Graf gebürtiger Armenier. Erik Pfeifer galt im Superschwergewicht bis zu seiner K-o.-Niederlage beim Chemiepokal in Halle im März als Goldkandidat. Dem Fliegengewichtler Hamza Touba bescheinigt Harry Kappell „immer wieder aufblitzende Weltklasse“, aber noch nicht genügend Beständigkeit. Arajik Marutjan im Weltergewicht und Serge Michel im Halbschwergewicht bewegen sich zwischen Geheimfavorit und Männern mit Außenseiterchancen.
David Graf jedenfalls ist bereit. Am Donnerstagvormittag schickte der 27-Jährige zwei Fotos mit lieben Grüßen an die Redaktion und die Leser der SZ/BZ. Zu dem Selfie kurz vor dem Abflug schreibt er: „Guten Morgen Freunde. Heute startet die Mission Olympia. In einigen Stunden fliege ich mit der Mannschaft los Richtung Brasilia, der Hauptstadt Brasiliens. Dort werde ich eine gute Woche verbringen, bevor es endgültig nach Rio geht. Ich hoffe und freue mich über eure Unterstützung, denn ihr wisst, ich schöpfe Kraft aus eurem Support.“
Das zweite Foto zeigt ihn am Flughafen in Brasilien: „Wir sind gesund und munter in Brasilia angekommen. Die Brasilianer haben uns sehr herzlich empfangen und uns in unser Hotel gebracht. Wir haben hier eine sehr gute Lage. Unser Hotel ist sehr groß und auf einem sehr hohen Standard.“ Jetzt geht es ans Eingemachte. Um die großen Sportlerträume eines Sindelfingers – und um die Zukunft des deutschen Boxsports. David Graf meint es ernst. Trainingsstart: 7 Uhr morgens. Seine Fans lässt er wissen: „Frühsport bei diesem Wetter und der tropischen Natur macht extrem viel Spaß. So kann man sich fokussieren.“ Noch gut eine Woche hat er Zeit, schlägt für ihn der olympische Gong.
Das letzte Selfie in Deutschland vor dem Abflug nach Brasilien. David Graf schreibt: „Ich hoffe auf eure Unterstützung und schöpfe Kraft aus eurem Support.“
Das erste Bild in Brasilien mit dem Fliegengewichtler Hamza Touba (links): „Wir sind gesund angekommen.“ Jetzt geht es ans Eingemachte. Bilder: z