Fußball (Frauen): Heißer Ritt auf der Rasierklinge

Aus dem sanften Pochen an die Tür zur eingleisigen zweiten Liga ab 2018 sind wie über Nacht Donnerschläge an die Bundesliga-Pforten geworden – und das schon für die kommende Saison. Die Fußballfrauen des VfL Sindelfingen überholen sich selbst, die Aussichten sind rosig. Aber weil sie ohne Steuermann dastehen, könnte es auch ein böses Erwachen geben. Die Zeit drängt.

Die sportliche Ausgangslage:

Eigentlich wollten sie ja zunächst nur spielen. So in etwa lässt sich die mittelfristige Planung der Abteilung zusammenfassen. Die Trainer Saban Uzun und Alexander Schick bastelten an der Mannschaft und nahmen mit ihr Anlauf für nächstes Jahr, wo es dann ernst werden sollte. Platz sechs würde dann reichen für die eingleisige 2. Bundesliga, die der DFB mit dem Spieljahr 2018/19 einführt.

Mittlerweile sieht die Sache anders aus. Platz drei in der Winterpause, das schreit nach mehr. Es könnte vielmehr sein. Denn der Spitzenreiter Hoffenheim II kann genauso wenig aufsteigen wie die zweiten Mannschaften von Bayern München und 1. FFC Frankfurt. Somit steht Sindelfingen als gefühlter Zweiter hinter Hessen Wetzlar kurz hinter dem sicheren Aufstiegsrang. Ernsthaft Druck von hinten macht eigentlich nur der 1. FC Köln mit einem Punkt Rückstand auf den VfL. Das siebtplatzierte Niederkirchen ist schon sechs Punkte weg.

Die Perspektiven:

„Riesig“, sagt der kommissarische Abteilungsleiter Sascha Bührer (Bild: Wegner). Jetzt aufzusteigen würde nicht nur schon ab dem kommenden Jahr die ganz großen Namen der Fußballszene wie Lena Lotzen oder Simone Laudehr und alte Bekannte wie die Dongus-Zwillinge oder Leonie Maier zurück ins Floschenstadion bringen. Der Sprung nach oben würde auch dann Planungssicherheit geben, falls das Abenteuer Bundesliga nach einem Jahr endet. Denn selbst dann wäre der VfL dort, wo er ursprünglich hin wollte: in der eingleisigen Zweiten Bundesliga. Sascha Bührer: „Das wäre ein enormer Ansporn für uns alle, vor allem auch für die Spielerinnen. Und es wäre schön, wenn die Stadt und Unternehmen aus der Umgebung diese Chance auch wahrnehmen würden und das Projekt zusätzlich unterstützen.“

Das Problem:

Die Angelegenheit ist ziemlich verworren. Zum einen ist da der Sponsor. Die Schwabensport Management GmbH öffnet Türen. Deren Arbeit ist unter anderem auch über die Bundesliga-Volleyballerinnen von MTV Allianz Stuttgart bekannt. „Sie gehören zu den ganz Seriösen der Branche“, sagt VfL-Präsident Dr. Heinrich Reidelbach (Bild: Photo 5/A). Mit den Strukturen der Abteilung sind die Fellbacher aber nicht einverstanden. Die Fußballfrauen haben keinen Abteilungsleiter und sind dahinter zwar mit einem Team aufgestellt, das ehrenamtlich viel bewegt, aber insgesamt zu klein ist, um die organisatorischen Aufgaben in der 1. Bundesliga zu stemmen.

Das wiederum verlangt auch der DFB. Beantragt der VfL die Lizenz für die Bundesliga, muss eine schlagkräftige Organisation benannt werden. Diese muss, so verlangt es der Verband, deutlich tiefer und regelmäßiger Konzepte und Zahlen vorlegen als bisher. „Wir brauchend dringend Verstärkung, sonst verpufft diese Chance“, sagt Dr. Heinrich Reidelbach.

Der Zeitfaktor:

Das ist das ganz große Problem. Die Lizenzen für die nächste Spielzeit müssen bis zum 15. März beantragt werden. Vor allem müssen die Strukturen vom Sicherheitskonzept bis zum Haushaltsplan stimmen. Außerdem brauchen die Fußballerinnen dann auch einen hauptamtlichen Geschäftsführer. Der Hauptverein möchte von seiner Grundphilosophie nicht abweichen. „Der operative Bereich muss in den Abteilungen bleiben“, sagt Dr. Heinrich Reidelbach. Damit will er vermeiden, dass auch die anderen Abteilungen betroffen wären. Ein Beispiel: Nicht nur die Fußballerinnen, sondern alle Abteilungen müssten bis zum 15. März Pläne vorlegen. „Das wäre dann also das Ganze mal 28. Das haut nicht hin, und das wollen wir niemanden zumuten“, sagt VfL-Geschäftsführer Roland Medinger (Bild: Hamann/A).

Die Folgen:

Die Fußballerinnen arbeiten daran, einen Verein im Verein zu gründen. Im Klartext bedeutet das, dass sieben Personen den Antrag dafür beim Amtsgericht unterschreiben müssen, dazu auch die Verantwortlichen des Hauptvereins. Hintergrund ist, dass es etwa vier Wochen dauert, bis die Genehmigung durch ist.

Der VfL hat über Dr. Oliver Wengert, Rechtsanwalt und Vorstandsmitglied, den kurzen Draht zu WFV-Justiziar Frank Thumm aufgenommen, die derzeit die Formalien gemeinsam vorbereiten. Als Blaupause dient der Vorgang beim 1. FC Nürnberg, der zuletzt einen ähnlichen Weg gegangen ist. Die etwa 9000 Mitglieder und die Delegierten der Abteilungen müssten laut Dr. Heinrich Reidelbach nicht zustimmen, es wären also keine außerordentlichen Versammlungen notwendig.

Die Finanzen:

Derzeit bewegen sich die Umsätze der Fußballerinnen im unteren, sechsstelligen Bereich. Durch die Auflagen vom Sicherheitsdienst über die Vip-Lounge, die hauptamtliche Geschäftsführung bis zu den Fahrtstrecken in der ersten Liga würden die Ausgaben zwar deutlich steigen. Aber es gäbe dann auch einen satten Zuschuss von DFB und Ligasponsor Allianz in Höhe von 280 000 Euro. Dr. Heinrich Reidelbach: „Die erste Liga würde sich deutlich einfacher rechnen als die zweite.“

Die Funktionäre:

Das ist das große Problem. Nachdem der Abteilungsleiter Harald von Hinüber sein Amt im Herbst abgegeben hatte, übernahm Sascha Bührer kommissarisch. Das Engagement des Bankkaufmanns beim VfL kam über den Umweg Schwabensport, dessen Chef bei Allianz wiederum Schwabensport-Gesellschafter Horst Wachendorfer ist. Von Beginn an war klar, dass Sascha Bührer den Posten beim VfL Sindelfingen nur auf Zeit übernimmt. Mit im Vorstand sind Marc Pflieger, Hansdieter Kirchhoff und das Trainerteam – mit Leidenschaft und kreativ wie zuletzt bei einem Crowd-Funding-Projekt, das einen neuen Mannschaftsbus finanzieren sollte (die SZ/BZ berichtete), aber eben nicht wirklich breit aufgestellt.

Der WFV:

Der Württembergische Fußballverband hat großes Interesse an einem möglichst hochklassigen VfL – zumal es mit Sindelfingen eine Kooperationsvereinbarung gibt und der WFV beispielsweise ordentlich Geld in Internat und Olympiastützpunkt steckt. Hier wohnen und lernen auch vier Spielerinnen der Blau-Weißen. Sascha Bührer: „Sindelfingen ist nun einmal der Leuchtturm in der Region Stuttgart/Sindelfingen im Frauenfußball und verhindert, dass die Talente nach Freiburg oder Hoffenheim abziehen. Das ist ganz im Sinne des Verbands.“

Die Mannschaft:

Auf den Abstieg aus der Bundesliga 2013/14 folgte der Aderlass. Das Trainerteam um Saban Uzun schaffte es aber auch wegen der Kooperation mit dem WFV, eine junge und hungrige Mannschaft aufzubauen, die vor allem in der Rückrunde immer stabiler wurde und sowohl Perspektive, wie auch Luft nach oben hat.

Der Unterbau:

Die zweite Mannschaft mischt in der Oberliga vorne mit. Die U17 spielt schon lange in der Juniorinnen-Bundesliga eine gute bis sehr gute Rolle.

Der Plan B:

Sollte der Versuch scheitern, einen Verein im Verein zu gründen, könnte der VfL auch für die 2. Bundesliga die Lizenz beantragen. Ob dieser Antrag durchgeht, steht auf einem anderen Blatt, die Auflagen sind jedenfalls deutlich geringer. Die Entscheidung des DFB wäre dann auch ein Fingerzeig für den Hauptverein, in welche Richtung es geht. Dr. Heinrich Reidelbach: „Der DFB kann sehr gut beurteilen, was für wen finanziell machbar ist. Wir tun gut daran, uns daran zu orientieren.“ Es dürfe auf der Suche nach einem schlagkräftigen Vorstand also kein weiterer Tag mehr verloren gehen. Sascha Bührer: „Bei Interesse darf man sich auch gerne direkt an mich wenden.“

Info

Weitere Informationen zu den Sindelfinger Fußballfrauen und Ansprechpartner stehen unter www.vfl-ff.com im Internet.

An Jubelszenen im Floschenstadion haben sich die Fans bei den Zweitligaspielen des VfL Sindelfingen wieder gewöhnt. Diese Traube gab es beim 4:2-Sieg gegen den 1. FC Köln – neben Hessen Wetzlar dem derzeit hartnäckigsten Konkurrenten im Kampf um einen Aufstiegsplatz. Bild: Photo 5/A

Quelle: SZ-BZ Online