Leichtathletik: Weiblich, schnell, erfolgreich: sechs Frauen für fünf Ringe / SZ/BZ-Serie zur Geschichte der Sindelfinger Leichtathleten (Folge 9)
1920, der 1. Weltkrieg ist vorbei, erfährt auch der Sport einen Neuanfang. Einige beherzte junge Männer des „Turnvereins“ gründen in Sindelfingen eine Leichtathletik-Abteilung, aus der sich eine Leichtathletikhochburg entwickelt, deren Athleten es zum Teil bis zu den Olympischen Spielen schaffen. Die neunte Folge der SZ/BZ-Serie dreht sich um die Olympia-Frauen der VfL-Leichtathletikabteilung.
Sechs Sindelfinger Leichtathletinnen war es vergönnt, ihren Olympischen Traum zu leben: Heidi-Elke Gaugel, Ulrike Sárvári, Andrea Thomas, Birgit Hamann, Stephanie Kampf und zuletzt Nadine Hildebrand. Die erste VfL-Athletin, die im Jahr 1984 zur Olympionikin avancierte, war zugleich auch eine der erfolgreichsten.
Heidi-Elke Gaugel war lange Jahre die schnellste und beständigste deutsche Sprinterin und gewann zahlreiche nationale Titel. Bei den olympischen Spielen 1984 in Los Angeles schlug ihre Stunde, nachdem sie 1980 schon für die boykottierten Spiele in Moskau nominiert worden war. „Der Moment der Nominierung war sehr emotional. Das schafft nicht jeder, es wird immer etwas Besonderes bleiben“, erinnert sich die Sprinterin.
In den USA lief sie sage und schreibe neun Rennen und startete nicht nur im 100- und im 200-Meter-Lauf sowie in der 4×100-Meter-Staffel, sondern fungierte zum krönenden Abschluss auch als Joker in der 4 x 400-Meter-Staffel des DLV, obwohl sie für die „Langstreckenstaffel“ eigentlich gar nicht eingeplant gewesen war. Ihr Lohn: Der Gewinn der Bronzemedaille. „Die Siegerehrung vor 70 000 Zuschauern im Stadion war einmalig und unvergesslich.“
An den Spielen in Seoul 1988 nahmen gleich zwei Athletinnen des VfL Sindelfingen teil: Ulrike Sárvári und Andrea Thomas, betreut vom Bundestrainer Sprint Frauen Werner Späth. Beide waren Teil der deutschen Sprintstaffel über die 4×100 Meter und erreichten im Finale den vierten Platz. „Die ersten Spiele haben mich sehr beeindruckt weil ich alles sehr intensiv wahrgenommen habe und wir schon früher angereist sind, sodass wir genügend Zeit hatten uns die Stadt oder auch andere Sportarten anzusehen“, sagt Andrea Thomas heute.
Sie erreichte außerdem über die 100-Meter-Strecke das Viertel- und über die 200 Meter das Halbfinale. Mit der 4×400-Meter-Staffel reichte es zu Platz vier. Gemeinsam gewannen die Sindelfingerinnen außerdem Staffel-Silber bei den Europameisterschaften 1990 in Split. Ulrike Sárvári hatte sich da schon zur Doppeleuropameisterin über die 60m und 200m in der Halle von Glasgow gekrönt. Zwei Jahre später in Barcelona erreichte Andrea Thomas über 200 Meter das Viertelfinale und wurde in der 4×100-Meter-Staffel Fünfte.
Harter Kampf
Ein Olympiastart 1996 in Atlanta, das war der Traum von Birgit Hamann, damals Wolf. Schon in der Hallensaison war die Hürdensprinterin schnell unterwegs und lief die 60-Meter-Hürden in 8,00 Sekunden. Fortan setzte sie alles auf den Sport. Für die Olympiaqualifikation galt es, zwei Mal 13,00 Sekunden zu laufen. „Ich bin in Chemnitz gut eingestiegen und habe die Norm nur knapp verpasst. Dann habe ich mich auf der Rückfahrt aber erkältet und das hat mich aus dem Tritt gebracht“, erzählt Hamann heute. Bald wurde es knapp mit der Norm, die Athletin brauchte Wettkämpfe und reiste eigens nach Sevilla. „Die Anreise war stressig und dann stand ich am Start und hatte unglaublichen Gegenwind. Aller Aufwand war umsonst gewesen und mir blieb vor den Deutschen Meisterschaften nur noch der Wettkampf in Mannheim“, erzählt Birgit Hamann.
Auf der schnellen, blauen Bahn und bei hervorragendem Wetter passte dann aber endlich alles zusammen. „Ich bin im Vorlauf 12,96 und im Finale 12,98 Sekunden gelaufen und konnte mich auf die Olympischen Spiele freuen“, sagt die Hürdenläuferin, die 1987 schon Junioren-Europameisterin geworden war. An das Erlebnis Olympia in Atlanta denkt sie noch heute mit leuchtenden Augen zurück. „Das war der Wahnsinn. Ich bin morgens um neun Uhr in ein Stadion mit achtzigtausend Zuschauern eingelaufen. Das Halbfinale habe ich damals leider um drei Hunderstel-Sekunden verpasst und bin Gesamt-Siebzehnte geworden“, sagt Birgit Hamann.
Rechtzeitig zu den olympischen Spielen 2004 in Athen gelang Stephanie Kampf das Kunststück einer perfekten Saison, zumindest einer fast perfekten. Schnell konnte die 400-Meter-Hürdenläuferin die Qualifikationsnorm abhaken und sich intensiv auf ihren Olympiawettkampf vorbereiten. „Es war schwer, die Spannung hochzuhalten, aber in meinem Abschlusstraining im Floschenstadion vor dem Abflug nach Athen bin ich Bestzeit gelaufen“, erzählt Kampf.
Die Bahn bleibt leer
Im letzten Training vor dem Olympiastart dann das Unglück: „Ich bin nach der fünften Hürde aufgekommen und habe sofort gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Ein MRT hat nichts ergeben und ich habe mich am nächsten Morgen dann mit Spritzen im Fuß und einem Tape drum herum warmgelaufen. Da habe ich gemerkt: Es geht nicht“, so Kampf weiter. Sie musste von der Tribüne aus zusehen, wie ihr Vorlauf gestartet wurde. „An diesem Tag ist mein Traum geplatzt. Ich habe die leere Bahn gesehen, auf der ich hätte stehen sollen.“
Vor vier Jahren schlug die Stunde von Nadine Hildebrand. Nachdem sie die Spiele in London noch unglücklich verpasst hatte, war sie in Rio de Janeiro in Topform am Start. „Ich hätte vor Glück heulen können, als ich in Weinheim die Norm gelaufen bin. Ich wusste, jetzt dürfte nichts mehr schief gehen mit der Olympia-Qualifikation“, sagt Hildebrand. Die 100-Meter-Hürdensprinterin erreichte sogar ihr größtes Ziel und qualifizierte sich mit 12,84 Sekunden im Vorlauf für das Halbfinale. „Für mich hatte es einen doppelt so hohen Stellenwert, weil ich nach einer Knieoperation zurückgekommen bin. Jeder der Leistungssport macht, träumt von Olympia. Das ist der mit Abstand wichtigste Wettkampf, den du in deinem Leben haben kannst.“
Bild: Eine Staffel – vier Olympiateilnehmerinnen: Die 4x100m Deutsche Meisterstaffel von 1987 Ulrike Sárvári, Heidi-Elke Gaugel, Birgit Wolf und Andrea Thomas.Bild: Hanns Krebs
Quelle: SZ/BZ-Online