Schach: Bei den Brettkünstlern des VfL Sindelfingen duellieren sich Männern und Frauen und Kinder und Senioren / Welche Werte der Sport vermittelt – Folge 10: Augenhöhe
Bei vielen Sportarten bleibt man unter sich. Frauen spielen gegen Frauen, Männer gegen Männer und das meist auch gleich in verschiedenen Altersklassen. Beim Schach kennt man so etwas nicht. Hier spielt das zwölfjährige Mädchen gegen den 75-jährigen Rentner. Vorurteile haben keinen Platz, und wenn alle auf Augenhöhe bleiben, ist auch das ein Wert, den der Sport vermittelt.
Der jüngste Spieler ist 11 Jahre alt, das älteste Teammitglied bringt es auf fast 87 Jahre. So eine Konstellation wie hier bei der Schachabteilung des VfL Sindelfingen gibt es vermutlich nur in diesem Sport. „In unserer zweiten Mannschaft gibt es eine ganz breite Ansammlung von verschiedenen Spielertypen. Und zwar nicht nur beim Alter, sondern auch bei Nationalität und Geschlecht. Denn hier sitzt im Training und beim Spieltag ein gebürtiger Ukrainer neben einer Spielerin aus Indien“, sagt der Abteilungsleiter der Sindelfinger Denksportler, Hans-Jochen Braun.
Warum das so ist, ist ziemlich klar. Die Schachregeln sind international, an Sprachbarrieren scheitert man nicht. „Das ist auch bei uns von Vorteil. Wir haben immer wieder Zugänge aus ganz verschiedenen Ländern. Die meisten fangen bei Daimler an zu arbeiten und suchen sich einen Schachverein, um weiter ihrem Hobby nachgehen zu können. Zudem bietet das Spiel am Brett keinem Geschlecht körperliche Vorteile.“
Ähnliches gilt laut Braun auch für das Alter der Spielpartner. „Sowohl im Training, als auch an Mannschaftsspieltagen oder Turnieren kommt es regelmäßig vor, dass sich das zwölfjährige Mädchen und der 75-jährige Rentner mit gleichen Waffen duellieren. Genau diese generationenübergreifenden Begegnungen sind im Sport ziemlich einzigartig und machen den Schachsport zu einem großen Teil aus“, ist sich Hans-Jochen Braun sicher.
Momentan ruhen auf Grund der Corona-Pandemie auch bei den VfL-Schachspielern sowohl das mittwochabendliche Training, als auch der Spielbetrieb für alle fünf VfL-Teams. „Derzeit ist die Saison unterbrochen. Was das jetzt für unsere Mannschaften, die Erste stand auf einem Abstiegsplatz in der Landesliga, die Zweite auf einem Aufstiegsplatz in der Kreisklasse bedeutet, steht noch nicht fest. Mitte Mai will der Württembergische Schachverband entscheiden“, sagt Braun.
Züge und Chats
Ganz ohne Duelle müssen der 56-Jährige, der seit achtzehn Jahren an der Spitze der VfL-Schachabteilung steht, und seine Kollegen aber auch in Zeiten des sportlichen Shutdowns nicht auskommen. Jeden Mittwochabend ab 19.30 Uhr trifft man sich seit einigen Wochen virtuell auf einer Schachplattform und tritt gegeneinander an.
„Statt der üblichen 15 bis 20 Trainingsteilnehmer sind wir hier immerhin um die zehn. Das virtuelle Spielen macht Spaß, auch wegen der Chatfunktion, mit der man sich austauschen kann. Es ersetzt aber den direkten Kontakt nicht ganz. Immer wieder äußern die Mitglieder daher den Wunsch, sich endlich wieder wie gewohnt duellieren zu können“, sagt Braun und ergänzt: „Das freut einen dann als Abteilungsleiter, wenn die Leute nicht nur online gegeneinander antreten möchten, sondern sich dabei auch real sehen wollen. Denn die große Konkurrenz von virtuellen Schachplattformen, an denen man zu jeder Tages- und Nachtzeit den geeigneten Spielpartner findet, müssen wir als Verein mehr und mehr fürchten.“
Deshalb gilt es für Schachabteilungen wie die des VfL, gerade auch für junge Spieler attraktiv zu bleiben. So wird im Training kaum noch das klassische mehrstündige Schach mit langer Bedenkzeit gespielt, vielmehr werden hier die schnelleren Varianten präferiert. „Wir duellieren uns meistens im Schnell- oder im Blitzschach. Bei der ersten Variante dauert eine Partie 15 Minuten, bei der zweiten sogar nur fünf Minuten“, sagt Hans-Jochen Braun.
Mit solchen Anpassungen möchten der VfL-Abteilungsleiter und seine Mitstreiter die Zahl von rund 50 Abteilungsmitgliedern konstant halten. Bei der Frage, wann in Sindelfingen mit Blick auf das Coronavirus wieder am Brett agiert werden kann, muss Hans-Jochen Braun indes passen. „Ich glaube, da muss man die Entwicklungen der nächsten Wochen abwarten“, sagt er und gibt zu bedenken: „Genau die Vielfalt, die den Schachsport auszeichnet, könnte hier leider Schwierigkeiten bereiten. Denn dass junge Menschen mit alten Mitmenschen sehr nahe bei einander sitzen, ist in Zeiten von Corona wohl nicht so ideal.“
Quelle: SZ/BZ-Online